Totentanz
Kollege hat soviel Zeit.«
»Dann fragen Sie Galvano. Der alte Gerichtsmediziner freut sich bestimmt, wenn er wieder einmal gebraucht wird.« Laurenti nahm einen Zettel und schrieb die Telefonnummer des zwangspensionierten Vierundachtzigjährigen auf.
Laurenti trat ans Fenster und warf einen Blick hinaus. Es war stickig, schwere Regenwolken lagen über der Stadt. Endlich zog Wind auf.
Kreative Geschäfte
Der Name Petra Piskera war so falsch wie die Gesichtszüge der Frau, die ihn trug. Der Paß, in dem er stand, war dagegen das gültige Dokument eines der Länder Osteuropas, das noch lange kein Beitrittskandidat der Europäischen Union würde, und in dessen Bevölkerung Nostalgie nach dem ehemaligen Sowjetregime herrschte, weil sich in der inzwischen eingerichteten Pseudodemokratie die Lebensumstände drastisch weiterverschlechterten. Daß dieses Land trotz fehlender Mittel ausgerechnet in Triest ein eigenes Konsulat einrichtete, hatte viele Beobachter verwundert – nur die Serben, Slowenen und Kroaten leisteten sich noch einen Berufskonsul in der Stadt, die anderen Länder wurden von betuchten Honorarkonsuln vertreten. Die Räume lagen in der kleinen Via Torbandena in unmittelbarer Nachbarschaft der Questura, im dritten Stock eines jener Blöcke, denen in der faschistischen Epoche große Teile der Altstadt weichen mußten. Von der Tafel am Hauseingang konnte man ablesen, daß das Konsulat sich in den Räumen zweier Firmen befand, deren Namen sich leicht einprägten: CreaBuy Consultants, CreaSell Experts. Bei einem Neujahrsempfang, zu dem neben den Honoratioren Triests auch Proteo Laurenti, als Vicequestore, und sein Chef, der Polizeipräsident, geladen gewesen waren, hatte Laurenti die flüchtige Bekanntschaft der jungen schwarzhaarigen Konsulin mit dem auffallend blassen Teint gemacht. Solche Empfänge waren lästige Pflichten, denen man nicht ausweichen konnte. Die immergleiche kurze Rede, spärlicher Beifall, ein paar Fotos, ein Glas Spumante, der so lasch wie die folgenden Händedrücke war, und heuchlerische Kommentare hinter vorgehaltener Hand. Kein Wunder, daß die Begegnung mit der Konsulin trotz der attraktiven Erscheinung der Dame keinen bleibenden Eindruck hinterlassen hatte.
So falsch wie ihr Name war auch das Lächeln gewesen, als Laurenti mit der Begrüßung an der Reihe war. Diese Dame kannte ihn gut, doch eine Reihe chirurgischer Eingriffe hatte ihr Aussehen so sehr verändert, daß der Kommissar sie nicht wiedererkannte. Petra Piskera hielt seine Hand lange genug fest, um sicher zu sein. Die Prüfung war bestanden, am Nachmittag berichtete sie ihrem Bruder Viktor Drakič triumphierend davon. Dreieinhalb Jahre im Frauenknast von Udine hatte sie abgesessen, bevor sie am Tag ihrer vorzeitigen Entlassung abgeschoben wurde. Und jetzt war Tatjana Drakič alias Petra Piskera zurück in Triest und leitete von hier aus die Geschäfte von Viktors Firmen in ganz Italien.
Der hatte in Windeseile ein Imperium aufgezogen, um dessen Renditen ihn jeder Bankchef beneiden würde. Allerdings zahlte Drakič weniger Steuern und so gut wie keine Personalnebenkosten. Blitzartig hatte er bei der ersten Gelegenheit das Geschäft seines ehemaligen Bosses JoŽe Petrovac an sich gerissen. Petrovac war einst einer der meistgesuchten Männer Europas gewesen, slowenischer und kroatischer Staatsbürger mit glänzenden Verbindungen zu seinen Geschäftspartnern im Westen und Inhaber einer eigenen China-Fluglinie, die keine bildungsreisenden westeuropäischen Lehrer beförderte und auf den Rückflügen von Belgrad, Bukarest, Sofia, Minsk oder Kischinau nach Peking oder Shanghai kaum Passagiere transportierte. Eine schillernde Karriere. Im ehemaligen Jugoslawien Gemüsehändler und Taxifahrer, dann gutverdienender Schleuser. Als die Welt noch aus zwei ideologischen Blöcken bestand, konnte er ungehindert den für ihn segensreichen Geschäften nachgehen. Sein wirklich rasanter Aufstieg aber begann 1991 mit der Ablösung Sloweniens und Kroatiens von Jugoslawien und der elenden Not, die durch die Bürgerkriege unter der Zivilbevölkerung im einstigen Vielvölkerstaat ausbrach. Petrovac war einfallsreicher und noch skrupelloser als seine Konkurrenten und verfügte bald über ein gut funktionierendes Netz, das auch für diejenigen einträglich war, die seine Sache zu der ihren machten. Stabilisierung des Geschäfts, hatte er das genannt. Damit hatte auch der Aufstieg Viktor Drakičs begonnen, denn der Weg in den Westen fand für
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