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Totentanz

Totentanz

Titel: Totentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
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bekannt dafür, trotz der heftigen Kritik aus allen Lagern über ein ungebrochenes Selbstbewußtsein zu verfügen. »Ihr müßt mehr Unternehmergeist entwickeln, auch bei der Polizei. Sonst wird das nie etwas.«
    Die Maulerei des Bürgermeisters erhielt kichernden Beifall seiner untertänigen Begleiter. Der Mann trumpfte häufig damit auf, selbst zur Tat zu schreiten, wenn ihm die kleinen Dinge nicht schnell genug gingen. Mehr als einmal war er angeblich an einer vielbefahrenen Kreuzung am Stadtrand gesichtet worden, wo er den Verkehr effizienter regeln wollte als die ausgebildeten Beamten, doch zu seinem Pech erkannten ihn die türkischen und bulgarischen Fernfahrer mit ihren Achtunddreißigtonnern nicht. Das brachte keine Wählerstimmen. Doch den großen Wurf, der die Stadt endlich nach vorne bringen sollte, schaffte der Mann nicht. Laurenti ging hinein. Den Appetit ließ er sich auch von diesem Genie nicht verschlagen. Hoffentlich schiß ihm wenigstens eine Möwe auf die Glatze.
    Laurenti hatte gerade den letzten Bissen seiner köstlichen Makrelen hinuntergeschluckt, als das Stadtoberhaupt sich auf seinem Weg zur Toilette zum zweitenmal auf ihn stürzen wollte. Laurenti murmelte, er sei in Eile, und streckte Bruno, der als Wirt zu diplomatischer Zurückhaltung verpflichtet war, einen Geldschein hin. Dann ließ er noch den Händedruck seines Stadtoberhaupts über sich ergehen, zwinkerte dem Freund zu und verduftete. Den Espresso nahm er auf der Piazza della Borsa ganz in der Nähe des Büros. Die leichte Brise hatte sich gelegt, Laurenti stand der Schweiß auf der Stirn. Er schaute zum Himmel, ein Gewitter baute sich auf.
    In der kleinen Via Torbandena, wie die offizielle Adresse der Questura lautete, warf Laurenti einen Blick in die Schaufenster einer Galerie, die soeben eine Ausstellung von Zoran Musić, einem Maler der klassischen Moderne aus Gorizia, eröffnet hatte. Gerade als er weitergehen wollte, vernahm er ein langes Röcheln. Er schaute sich um, doch die Straße war leer. Er trat zwei Schritte zurück, las die Schilder neben dem Hauseingang: CreaBuy, CreaSell, zwei Firmen, die ihm nichts sagten, und das Konsulat eines osteuropäischen Landes, dessen Name eine vage Erinnerung in Laurenti weckte, alle im dritten Stock. Die Klingelschilder an dem großen Palazzo waren alle unbeschriftet, bis auf das des Konsulats.
    Wieder hörte er dieses eigentümliche Gestöhne, doch die Tür, durch die es drang, war verschlossen. Laurenti drückte alle Klingelknöpfe auf einmal, bis der Türöffner betätigt wurde. Seine Augen mußten sich erst an das Dunkel im Flur gewöhnen. Und dann sah er den Körper, ein dunkler Schatten, der auf den Stufen lag, die zum Hinterausgang hinabführten. Blutüberströmt und verkrümmt. Er beugte sich über die Gestalt, doch traute er sich aufgrund der Verletzungen nicht, sie auf den Rücken zu drehen. Rotes, krauses Haar und klaffende Wunden am Kopf. Die Atemzüge waren flach und der Puls gefährlich niedrig. Laurenti wählte hastig die Nummer der Questura und gab Anweisung, einen Rettungswagen und zwei Beamte zu schicken. Dann durchsuchte er die Taschen der kurzen Lederjacke: ein Tampon, ein paar Münzen, kein Portemonnaie, dafür einer dieser kleinen digitalen Fotoapparate, den er in sein Taschentuch wickelte und einsteckte. Schließlich stieg er die Treppe hinab und öffnete die Tür zum Hof. Möwenscheiße, zwei rostige Fahrräder mit platten Reifen, ein paar alte Kartons. Sonst nichts. Vor allem kein zweiter Ausgang. Nichts als ein vergammelter Abstellplatz. Gerade als er der Blutspur auf der Treppe folgen wollte, trommelten die beiden uniformierten Kollegen an die Haustür, die vom Polizeipräsidium herübergelaufen waren. Er öffnete und gab einem der beiden die Anweisung, auf die Sanitäter zu warten. »Sie kommen mit mir«, sagte er zu dem anderen und drückte den Aufzugknopf. »Folgen Sie der Blutspur. Lassen Sie niemand an sich vorbei. Ich fange oben an.«
    Leise schloß er die Aufzugtür und schaute sich um. Diese Gebäude aus der faschistischen Epoche hatten allesamt Flachdächer. Laurenti vergewisserte sich, daß es vom letzten Stock keinen Ausgang gab. Die Treppe oben war sauber. Langsam ging er hinunter. Von unten hörte er die Schritte des Uniformierten. Im dritten Geschoß begegneten sie sich. Er sah das Schild des Konsulats neben dem der zwei kreativen Firmen. Die Tür war angelehnt, Laurenti gab ihr einen sanften Stoß, ging in Deckung und wagte einen vorsichtigen

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