Totentanz
»Malabar« im Halteverbot. Er hatte Hunger, wollte alleine an einem Tisch auf der Piazza San Giovanni ein Tramezzino essen und ein Glas Wein dazu trinken und darüber nachdenken, was er als nächstes unternehmen sollte. Diese Bedrohung durfte nicht unbeantwortet bleiben, seine Autorität als Vertreter der Staatsgewalt nicht untergraben werden. Er winkte Walter, dem Wirt, zu und steuerte einen Platz abseits der belegten Tische an. Er wählte Lauras Nummer. Sie war heute den ganzen Tag in ihrem Büro im Versteigerungshaus, um den Katalog für die erste Herbstauktion vorzubereiten.
Sie antwortete nach dem zweiten Klingeln und sprudelte sofort mit euphorischer Stimme los. Es ging um ein Ölgemälde von Gino Parin, das eine Dame der Gesellschaft der zwanziger Jahre zeigt, in tizianischer Manier, und Laurenti sollte gleich vorbeikommen, um es sich anzuschauen. Es war sein Lieblingsmaler der Triestiner klassischen Moderne, der ein furchtbares Schicksal erlitten hatte. Er war vom damaligen Schweizer Konsul zur Gestapo geschickt worden, als er sich danach erkundigte, wie er vor den Nazis in die Schweiz flüchten könnte. Qualvoll verstarb er auf dem Transport nach Auschwitz in einem Viehwaggon. Lange Zeit war das Werk Gino Parins in Vergessenheit geraten, obwohl man ihn bereits zu Lebzeiten hoch gehandelt hatte, doch erst jetzt begann man, den Meister wiederzuentdecken.
»Was ist los?« fragte Laura, als sie bemerkte, daß er sich gar nicht dafür zu interessieren schien. »Hast du Probleme, Proteo?«
Er seufzte tief und sagte schließlich: »Ja, eine ganze Menge. Und ich habe nicht die blasseste Ahnung, wie ernst sie wirklich sind. Bist du heute abend zu Hause? Ich will nicht am Telefon darüber reden.«
»Gegen acht«, sagte Laura. »Ich habe vorher noch einen Termin.«
Kaum hatte Laurenti aufgelegt, spürte er eine Hand auf seiner Schulter und fuhr auf.
»Du siehst aus wie der Tod! Was ist passiert?« fragte Walter.
»Frag mich besser nicht«, sagte Laurenti, und Walter, der ihn fast so gut kannte wie Laura und Marietta zusammen, wußte, daß er nicht insistieren durfte.
»Warte einen Augenblick«, sagte er und verschwand, um wenig später mit einer Weinflasche und einem Teller mit rohem Karstschinken zurückzukommen. »Der bringt dir die Lebensgeister wieder zurück, Proteo. ›Lajnarji bianco 2003‹ von Silvano Ferluga, eine Cuvée aus Vitovska und Glera. Der Wein der Stadt. Aus Piščanci, oben beim Obelisk. Lange Verwesung auf der Maische und ausgebaut in einem Eichensarg von zweihundertzwanzig Litern«, feixte er. »Unfiltriert wie die Wahrheit und so natürlich wie der Tod. Trink ihn, als wärs dein letzter Schluck.« Sein Freund schonte ihn nie, fand aber meist den richtigen Ton, um Laurenti aufzuheitern. »So tief, wie du vermutlich in der Scheiße steckst, solltest du einmal hinauffahren, dort oben bekommst du den Überblick zurück.«
Laurenti machte sich über den Schinken her und trank sein Glas in zwei Zügen aus. Bevor er abwinken konnte, stand Walter schon wieder mit der Flasche neben ihm und schenkte nach.
»Ich glaube, du solltest deinen Wagen wegfahren«, sagte er. »Die Ameisen sind wieder unterwegs und schreiben fleißig Strafzettel.«
Zwei Damen in der Uniform der Stadtpolizisten und mit weißem Helm strichen um seinen Alfa Romeo herum, als wollten sie ihn klauen. Eine hielt bereits den Block in der Hand und studierte seine Autonummer.
Laurenti winkte ab. »Sollen sie nur, Marietta wird’s wieder rückgängig machen.« Wenn er jetzt aufstünde, gäbe es nur Diskussionen. Er würdigte sie keines Blicks und sah erst wieder hin, als er die Stimmen zankender Frauen hörte. Er traute seinen Augen nicht. Neben ihrem sehr kleinen Fahrrad stand seine Mitarbeiterin Pina und machte den Damen von der Stadtpolizei wild gestikulierend klar, daß sie sich für den Rest ihrer Tage einprägen sollten, daß dieses Auto unantastbar war. Im Süden wäre so etwas nicht möglich, dort hätte man noch Respekt vor ranghöheren Kollegen, die sie schützen könnten, falls ein Autofahrer sie einmal wegen ihrer Kleinlichkeiten ohrfeigte. Eine Schande! Mürrisch ließen die beiden Behelmten endlich von Laurentis Wagen ab und gingen weiter. Alle paar Meter drehten sie sich nach Pina um, die wie angewurzelt ausharrte, als befürchtete sie, die Damen kämen zurück. Schließlich ging sie zur »Malabar« hinüber, lehnte das Fahrrad an den Sockel der kolossalen Verdi-Statue aus dunklem Bronzeguß, deren Kopf, wie man
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