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Totentanz

Totentanz

Titel: Totentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
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scheint mir interessant. Ein Foto deines Freundes, das ihn bei der offiziellen Eröffnung eines Autobahnteilstücks von Zagreb nach Split zeigt, Schulter an Schulter mit dem Verkehrsminister. Ich hätte ihn nicht wiedererkannt.«
    »In einer halben Stunde bin ich da.« Laurenti legte auf und wandte sich an Galvano. »Die Rothaarige liegt noch immer im Koma. Die Gerichtsmedizin kommt nicht weiter.« Er machte ein beschwichtigendes Handzeichen, damit der Alte seine Kommentare für sich behielt. »Die Wunden sind so eigenartig, daß sie sich weder ein Bild über den Tathergang noch über die Tatwaffe machen können. Ich wünschte, du könntest dir das einmal ansehen.«
    »Wo liegt sie?« Galvano hielt sich merkwürdigerweise mit all seinen Bosheiten zurück.
    »In Cattinara«, sagte Pina vorlaut. »Ich fahre Sie hoch.«
    »Auf dem Gepäckträger etwa?« Galvano winkte ab.
    »Sie kann meinen Wagen haben«, sagte Laurenti und schob den Schlüssel über den Tisch.
    »Und mein Fahrrad?« fragte Pina.
    »Das nehme ich.« Laurenti stand auf und bezahlte. Sie hatten auch die zweite Flasche geleert, von »a consumo« war keine Rede mehr.
    Er fuhr die Fußgängerzone zu Sant’Antonio hinab und gab sich alle Mühe, mit den Knien nicht ständig gegen den Lenker zu stoßen. Die Uniformierten vor der Questura schauten ihm spöttisch nach, als er das Rad schulterte und hinauf in den dritten Stock trug.
    Nicht nur Marietta zweifelte an ihrem Verstand, als sie ihn den Flur hinabfahren sah. »Was machst du auf dem Zwergenrad der Pygmäin?« fragte sie fassungslos.
    »Ende einer Dienstfahrt«, sagte Laurenti und lehnte es gegen die Wand.
    Die Akte, die der Staatsanwalt ihm gegeben hatte, war dünn, aber brisant. Das letzte aufgezeichnete Telefonat stammte von gestern. Die Konsulin erzählte von der schwerverletzten Frau, die Laurenti auf den Treppenstufen in der Via Torbandena gefunden hatte. Sie war bestens informiert. Das Opfer lag ohne Bewußtsein, streng abgeschirmt und bewacht auf der Intensivstation des Polyklinikums von Cattinara. Die Prognosen der Ärzte waren zurückhaltend, sie sprachen von diagnostiziertem Schädelbasisbruch, schweren Verletzungen der Halswirbelsäule, davon, daß sie vermutlich auch das Augenlicht verlieren würde und es fraglich sei, ob sie jemals wieder aus dem Koma erwachte. Ferner hatte sie berichtet, daß ein Kommissar seines Namens die Ermittlungen leitete, was ihrem Gesprächspartner einen derben Fluch entlockt hatte.
    Laurenti überflog den Rest der Akte nur. Am liebsten hätte er die moldawische Nummer angerufen und Viktor Drakič ordentlich die Meinung gesagt. Er blätterte die Unterlagen durch, die Živa geschickt hatte, ohne ihm vorher Bescheid zu geben. Ein paar Zeitungsartikel, in denen Drakič als Unternehmer mit sozialer Verantwortung gepriesen wurde, der erheblich zum wirtschaftlichen Aufschwung seines Landes beitrug und Arbeitsplätze schuf. Ein Foto, das ihn mit Politikern zeigte, auf einem anderen stand er vor einer Autobahntankstelle, die zu seinem Netz gehörte. Doch es gab keinen Hinweis auf den Sitz seiner Firmen oder gar eine Angabe darüber, wo er wohnte. Živa hatte sich offensichtlich keine besondere Mühe gegeben und die Akte vermutlich von einem Mitarbeiter zusammenstellen lassen, ohne sie zu kontrollieren, bevor sie übermittelt wurde. Es war, als wollte sie wirklich nicht mehr direkt mit Laurenti zu tun haben und nur noch die offiziellen Wege wählen. Sollte sie eben ihren Willen haben, Laurenti wäre gewiß der letzte, der sie davon abzubringen versuchte. Er warf einen Blick auf seine Uhr und beschloß, diesen Tag voller schlechter Nachrichten mit einer Fahrt auf den Karst zu beenden und die Überbleibsel des Wagens der beiden Verunglückten zu inspizieren.
    *
    Der Schrottplatz lag noch knapp auf der Triestiner Gemarkung und damit in Laurentis Zuständigkeitsbereich. Hier verliefen die Gemeindegrenzen zwischen Triest, Duino-Aurisina und Sgonico seit dem Mittelalter so ausgefranst, daß man nie wußte, unter welcher Ortschaft im Telefonbuch nachzuschlagen war. Und die politische Grenze, die 1947 gezogen wurde, verkomplizierte die Angelegenheit noch mehr. Allein das Fischerdorf Santa Croce, das mit seinen fünfzehnhundert Einwohnern an der Abrißkante des Karsts hoch über dem Meer thronte, hatte drei verschiedene Postadressen und drei verschiedene Briefträger, die drei verschiedenen Postämtern angehörten. Niemand hatte je eine Reform in Angriff genommen, und niemand würde

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