Totentanz
unschwer erkennen konnte, ein beliebter Landeplatz der Möwen war.
»Darf ich?« fragte sie und saß, bevor Laurenti ihr einen Stuhl anbieten konnte.
Er wunderte sich, seine Mitarbeiterin hier zu sehen. Legte sie also doch manchmal eine Pause ein?
»Sie zu finden ist nicht besonders schwer«, sagte sie und zählte an vier Fingern seine Lieblingslokale auf: »›Ristorante Scabar‹, ›Buffet da Giovanni‹, ›Osteria Il Pettirosso‹, ›Gran Malabar‹. Sie wechseln ihre Lokale so gut wie nie. Ein Killer hätte es leicht mit Ihnen.«
Laurenti erblaßte. Walter brachte ein Glas für Pina, doch als er einschenken wollte, lehnte sie ab und bestellte ein kleines Bier.
»Endlich ist sogar in Triest etwas los«, sagte sie geradezu fröhlich. »Endlich kommt Bewegung in die Stadt.«
Laurenti schaute sie staunend an.
»Der Unfall gestern war kein Unfall. Heute früh hat sich ein Zeuge aus Gorizia gemeldet, der bei der ›Wärtsila‹ arbeitet, im Schiffsturbinenwerk, und auf dem Heimweg war. Er sagt, daß er auf der Gegenfahrbahn unterwegs war und beschwören würde, daß ein riesiger schwarzer Geländewagen den Škoda von der Fahrbahn über die Leitplanke gedrückt hat. Ganz gezielt. Er hat aber weder das Kennzeichen gesehen, noch konnte er den Fahrzeugtyp nennen, deswegen habe er sich auch nicht früher gemeldet. Nur daß der Wagen schwarz war, konnte er mit Bestimmtheit sagen. So, wie er den Hergang beschrieb, handelt es sich um einen Mordanschlag. Und, wenn die Frau nicht überlebt, um Doppelmord.«
»Und was wissen Sie inzwischen über die Opfer?« fragte Laurenti.
»Unbescholtene Leute. Seit zehn Jahren zuverlässige Mitarbeiter des Forschungszentrums. Damjan Babič hatte sogar einen Generalschlüssel. Wohnhaft in Komen, auf der anderen Seite der Grenze. Sie führen nebenher eine kleine Landwirtschaft und bauen ein bißchen Wein an.«
»Komen? In der Gemeinde gibt es zwei Nightclubs mit angeschlossenen Puffs.«
»In dem Kaff? Ich fuhr einmal mit dem Fahrrad durch. Der Karst ist dort oben sehr schön, aber der Ort völlig abgelegen, und die kleine Grenze bei San Pelagio schließt im Sommer um einundzwanzig Uhr. Wer fährt denn da hin?«
»Klienten von weither. Sogar aus dem Veneto kommen sie, weil sie hoffen, nicht aus Versehen vom Nachbarn, vom Schwiegervater oder vom eigenen Sohn mit einer Nutte erwischt zu werden. Die Lokalitäten sind ziemlich gefragt. Sie sollten Kontakt mit den slowenischen Kollegen aufnehmen und überprüfen, ob diese Babičs etwas damit zu tun hatten.«
»Sie scheinen ja genau Bescheid zu wissen. Waren Sie schon einmal dort?« fragte die Zwergin.
»Weiterbildung, Kollegin, heißt noch lange nicht, daß man alles selbst probieren muß. Oder?«
Pina war nicht allzusehr von seinen Ausführungen überzeugt, doch bevor sie nachhaken konnte, saß Galvano bei ihnen am Tisch. Sein schwarzer Hund legte sich mit einem Ächzen in den Schatten unter seinem Stuhl.
»In Komen gibt es sogar einen Friseur, der in den Hinterzimmern ein paar Mädchen aus Osteuropa feilbietet. Ein Haarschnitt für hundertzwanzig Euro – die Kunden sagen ihren nichtsahnenden Ehefrauen, daß sie hinführen, um Geld für den Friseur zu sparen, und dann kommen sie aus dem Laden raus und haben mindestens soviel bezahlt wie die Gattinnen in der Stadt, und das nur in einem Viertel der Zeit. Die Welt ist gerecht, oder?«
Pina war nicht sonderlich davon überzeugt, daß Galvano die Wahrheit sagte.
»Und in Veliki Dol«, fuhr der Alte fort, »gibt es sogar eine Osmizza mit Lapdance. Das Kaff hat gerade fünf Häuser, aber eine der begehrtesten Buschenschänken weit und breit.« Er nahm die Flasche aus dem Kühler, betrachtete den Pegel und verlangte nach einem Glas.
Pina traute ihren Ohren nicht. »Und wie ist es dort?« fragte sie.
»Der Wein ist zu sauer«, sagte Galvano. »Weshalb machst du solch ein Gesicht, Laurenti? Ist dir eine Laus über die Leber gelaufen?«
»Grenzgebiete sind das ideale Territorium für unaufklärbare Verbrechen. Man räumt auf der anderen Seite jemanden aus dem Weg und haut wieder über die Grenze ab. Ideal.«
Das gleiche galt natürlich auch für Diebesgut jeder Art. Erst kürzlich wurde auf der Autobahn ein Tieflader angehalten, der einen in Ravenna gestohlenen Bagger im Wert von einer halben Million Euro ins Ausland schaffen sollte. Zehn Kilometer vor der Grenze endete die Weiterfahrt nach Bosnien. Und niemand konnte genau sagen, wie viele Luxuswagen dies betraf. Wer die Grenze
Weitere Kostenlose Bücher