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Totentanz

Totentanz

Titel: Totentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
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dem schmalen Landstreifen zwischen Meer und Karst den Anschein des Paradieses. Friedlich und üppig schien das Leben hier zu verlaufen. Doch mit der Auswanderung nach dem Zweiten Weltkrieg und späteren Erbteilungen, bei denen es in manchen Fällen mehr Erben als aufzuteilende Quadratmeter gab, überwucherten die verlassenen Terrassen immer mehr mit Efeu, Glyzinien und wilden Brombeeren. Rehe hatten die brachliegenden Flurstücke zu ihrem Habitat gemacht, denn hier kam niemals ein Jäger her, der ihnen ein Loch ins Fell brennen würde. Ungestört lebten sie in diesem Dickicht und fraßen zum Ärger der Winzer in trockenen Monaten die jungen Triebe der Rebstöcke nebenan. Manche der Trockenmauern, die vor Hunderten von Jahren mühsam und von Hand mit dem aus dem Fels geschlagenen Stein aufgerichtet worden waren, fielen inzwischen zusammen. Nur ein paar wenige kleine Weinbauern aus Santa Croce hielten noch ihr Land in Schuß. Zehn, zwölf Hektoliter kelterten sie zum Eigenverbrauch, der knapp über das Jahr reichte. Das kleine Fischerdorf am Rande des Abhangs beherbergte eine lebensfrohe und trinkfreudige Gesellschaft, und anders, als es die Ehefrauen dort oben stets behaupteten, sprachen nicht nur die Männer gerne ihrem Wein zu.
    Wenn im September die Trauben reif waren und die Wettervorhersage zuverlässig schien, wurde rasch der Tag beschlossen und unter den Freunden weitergesagt. Die Weinlese war ein Fest. Aus Arbeit ließ sich ein Vergnügen machen, wenn man sich gegenseitig half. Morgens um neun traf man sich an der Brücke, die von der Via del Pucino über die Gleise der ehemaligen Südbahn führte, und trug das nötige Werkzeug, Eimer, Tragegurte und Bütten gemeinsam in die Weingärten hinunter. Und Wein vom Vorjahr aus dem Keller von Claudio und Voijko, denn Arbeit macht durstig.
    Laurenti hatte den Anruf vorgestern bekommen und war besorgt gewesen, zum erstenmal nicht dabeisein zu können. Doch Pina Cardareto hatte recht. Seine Mitarbeiter waren keine Anfänger mehr, und wenn er einen Tag fehlte, dann würde dies die Ermittlungen nicht beeinträchtigen.
    Es war nicht einfach gewesen, die Bewacher abzuschütteln. Keiner seiner Freunde wußte, daß er tatsächlich zwei erfahrene Beamte überlisten mußte, um ihrer ständigen Begleitung zu entwischen. Sardoč und Bezzi waren gut ausgebildete Profis und mit allen Wassern gewaschen. Sie folgten ihm auf Schritt und Tritt, und oft genug wiesen sie ihn an, in einem sicheren Winkel zu warten, bis sie einen Ort sondiert hatten. Sie wußten sehr wohl, daß ihre Präsenz eine Beeinträchtigung darstellte. Nicht selten versuchten ihre Schützlinge, sie wenigstens für ein paar Stunden abzuschütteln, als könnten sie damit die Realität verändern. Darin glichen sich fast alle, deren Leben bedroht war. Doch Bezzi und Sardoč wurde man nicht so einfach los. Im Alter von zweiundfünfzig Jahren sollte Laurenti lernen, wie es sich mit Aufpassern lebte. Nicht nur während der Arbeit. Sie blieben auch in der Freizeit an ihm kleben, wie am vergangenen Abend, als er mit seiner Frau zum Essen ausgegangen war, hinauf nach Santa Croce, ins »Pettirosso« zu Emiliano. Laurenti hatte sich vom Büro direkt dorthin bringen lassen und trank, solange er auf Laura wartete, ein Glas Vitovska am Tresen mit den Freunden. So waren, als Laura eintraf, zwei Polizeibeamte in Zivil und mit langen Mägen in ihrem Auto vor dem Lokal postiert, zwei andere folgten den Laurentis hinein und sahen vom Nebentisch aus zu, wie sich diese über ein Thunfischcarpaccio mit wilden Fenchelblüten hermachten und anschließend über einen Scorfano, wie der Drachenkopffisch im Dialekt hieß. Laura hatte auf das grimmig blickende Tier gezeigt und gesagt, daß auch Laurenti so aussähe, wenn ihm etwas nicht in den Kram paßte. Nur, der Fisch kam direkt aus dem Ofen und Laurenti aus dem Büro.
    Auf der Heimfahrt hatte Laurenti zu seinen Beschützern gesagt, daß er sie am nächsten Tag nicht brauchte. »Gönnt euch einen freien Tag, wie ich«, sagte er. »Ruht euch aus. Ich bleibe morgen zu Hause und setze keinen Fuß vor die Tür.« Seine Leibwächter nahmen es schweigend zur Kenntnis. Sie kannten ihren Befehl besser als der Commissario.
    Kurz vor neun schlich Laurenti aus dem Haus und warf hastig die Vespa seines Sohnes an. Waghalsig fädelte er sich in den fließenden Verkehr auf der Küstenstraße ein und versuchte, den Vorsprung vor seinen Bewachern auszubauen. Nach einem Kilometer bog er in die enge,

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