Totentanz
Langeweile angesagt. Auch sie hatte nicht mehr als zehn Zehennägel zu lackieren, und die Entfernung überflüssiger Körperhaare füllte die Tage ebenfalls nicht aus. Deshalb war sie froh, daß endlich etwas passierte. Heute war sie stolz auf ihn und zeigte es mit ihrem Lächeln.
Zvonko verfehlte nicht einen Schuß. Er war voller Anerkennung für die Waffe und überschlug sich fast mit seiner Lobhudelei auf den Chef. »Beeindruckend. Bisher ließ sich eine solche Wirkung nur mit schweren und lauten Waffen erzielen, die kaum zu transportieren waren. Wenn ich an den letzten Krieg zurückdenke: Wir hätten einen gewaltigen Vorteil gehabt.«
»Damals kam mir die Idee. Niemand kann nachvollziehen, woher der Schuß kommt. Der Schütze ist sicher und kann die Position wechseln, ohne gesichtet zu werden. Keine andere Waffe ist auf eine solche Entfernung so treffsicher wie diese. Eineinhalb Meilen. Fast drei Kilometer. Damit kannst du alle Sicherheitsmaßnahmen vergessen. Wen du ins Visier nimmst, der ist tot – selbst der bestens abgeschirmte Regierungschef.«
»Wie viele gibt es von diesen Wunderwerken?«
Drakič ließ sich Zeit mit seiner Antwort. »Drei. Bis jetzt. Nur drei auf der ganzen Welt.« Es schien, als genieße er jedes seiner Worte wie einen Schluck besonderen Weins. »Aber nur eines außerhalb des Labors, in dem es streng geheim entwickelt wurde. Und das hältst du in der Hand.«
Zvonko stand stramm wie ein Wachhund, der mit konzentriertem Blick auf einen Befehl seines Herrn wartete.
»Nimm diese Waffe und paß auf sie auf, als wäre es das Hymen deiner Tochter. Du fährst nach Triest. Nimm das Boot, dann hast du keine Probleme an den Grenzen.«
»Und dann?«
»Nimm Milan mit. Du brauchst einen zweiten Mann, der dich abschirmt, damit du dich konzentrieren kannst. Es darf nichts schiefgehen.«
Zvonko nickte.
»Es ist kein Kinderspiel. Dein Opfer wird gut bewacht. Plane den Rückzug genau und komm weder mit einer schlechten Nachricht zurück noch ohne diese Waffe. Verstanden?«
»Verlaß dich auf mich.«
»Bedenke alles genau. Kein Leichtsinn. Keine Schlamperei. Ich will nur eine einzige Nachricht von dir erhalten: Erledigt, Schluß, aus und vorbei.«
»Wann?«
»Morgen ist ein idealer Tag dafür. Die Zeit ist reif.«
*
Wenn es einen Termin im Jahr gab, den Proteo Laurenti so wenig zu versäumen hoffte wie seinen Hochzeitstag, den Geburtstag seiner Frau Laura, die der beiden Töchter Livia und Patrizia, seines Sohnes Marco und den seiner Mutter, dann war es der Tag der Weinlese an den Steilhängen von Santa Croce zur Küste hinab. Im Gegensatz zu den anderen Anlässen würde er dafür sogar seinen letzten Urlaubstag opfern, wozu es aber kaum kommen konnte, denn von Jahr zu Jahr schob er mehr Ferientage vor sich her. »Falls mich keiner abknallt, werde ich dafür früher in Pension gehen können«, hatte er einmal gescherzt. Bis vor vier Jahren hatte er noch Pläne gemacht, was er mit der vielen Freizeit ab Mitte Fünfzig anfangen würde, wenn er den Job endlich an den Nagel hängen könnte, doch dann hatte die letzte Regierung das Rentenalter auch für Staatsdiener heraufgesetzt. Alles Jammern und Fluchen half nichts. Laurenti war für die alte Regelung ein paar Jahre zu jung und durfte noch lange schuften, bevor es ans Däumchendrehen ging.
Wenigstens hatten bisher alle ein Einsehen gehabt, ihn am Tag der Weinlese in Ruhe zu lassen. Wie durch ein Wunder war er noch nie zum Dienst gerufen worden, die Verbrecher hatten ihre Taten auf andere Tage verschoben oder sich von den Kollegen der Carabinieri oder der Guardia di Finanza jagen lassen, und selbst von Gerichtsterminen war er wie durch ein Wunder verschont geblieben. Und nicht einmal eine der vielen fruchtlosen Sitzungen beim Chef, die sich oft über Stunden hinzogen, war bisher auf diesen Tag gefallen.
Die Griechen hatten hier bereits den »Piktaton« angebaut und die Römer laut Plinius dem Älteren den »Vinum Nobile Pucinum«, von dem eine unbekannte, gewiß nicht geringe tägliche Dosis angeblich die Rage Livias, der dritten Gemahlin Kaisers Augustus, besänftigte und sie weit über achtzig Jahre alt werden ließ. Doch von diesem Elixier gab es heute keine Spur mehr, auch wenn manchmal irgendein Schlaumeier behauptete, als einziger noch im Besitz der alten Weinstöcke zu sein.
Bis vor vierzig Jahren war fast jeder Meter Land an der Küste bestellt worden, egal wie schwer er zu erreichen war. Gepflegte Rebstöcke und Olivenbäume gaben
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