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Totentanz

Totentanz

Titel: Totentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
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an das Geländer und versuchten, es auszumachen, doch ein Hain alter Akazien schirmte es zum Berg hin ab. Selbst wenn die Sicht frei gewesen wäre, hätten sie hier Drakičs Scharfschützengewehr nicht einsetzen können. Der Verkehr auf der Küstenstraße war zu dicht, und außerdem stand am anderen Ende des Belvedere ein BMW mit zwei Männern, die sie argwöhnisch beobachteten. Zvonko kannte ihre Art aus seiner Zeit, als er einer von zweihundert Leibgardisten Tudjmans war. Es konnten nur die Beschützer sein, vor denen Drakič gewarnt hatte.
    Er entschied, die Umgebung unter die Lupe zu nehmen, wo sie am nächsten Morgen zuschlagen würden. Ein paarmal fuhren sie die kleinen Straßen ab, die nach Santa Croce hinaufführten. Und mehrfach stiegen sie aus, gingen die Treppen hinauf und hinunter, die in die Weinberge führten, doch oft genug endeten die Wege in undurchdringbarem Gestrüpp. Erst in der Dämmerung hatten sie die richtige Position für den nächsten Morgen gefunden. Ein abgeernteter Weingarten am obersten Rand des Karsts, von dem aus man freie Sicht über das gesamte tiefer gelegene Gebiet bis zum Meer hatte. Auch auf den Platz, wo Proteo Laurenti am anderen Morgen eintreffen sollte, wie Zvonko von seinem Chef erfahren hatte. »Wir kennen uns schon lange«, hatte Drakič auf den skeptischen Blick seines Killers geantwortet. »Sehr lange. Und ich kenne jeden seiner Schritte der letzten Wochen.«
    Zvonko und Milan waren sich einig, die richtige Position gefunden zu haben: freie Schußfläche und ausreichend abgeschirmt. Sie gingen zurück zu ihrem Wagen und fuhren nach Santa Croce hinauf. Als sie an dem Gasthaus vorbeikamen, entschieden sie, dort zu Abend zu essen. Zvonko stockte der Atem, als er eintrat. Am Tresen der »Osteria Il Pettirosso« stand der Mann, auf den Viktor Drakič ihn angesetzt hatte, mit einem Glas in der Hand und im Gespräch mit Freunden. Stämmige Kerle aus dem Dorf, mit Händen wie Baggerschaufeln, die einen Liter Weißwein nach dem anderen bestellten, weil zu Hause ihre Gattinnen den Wein wegtranken. Es wäre ein leichtes gewesen, Laurenti hier mit einer Kugel aus dem Lauf seiner Magnum ein Loch in den Kopf zu pusten. Hier von der Tür aus. Doch schon drehten sich die Männer nach ihm und seinem Begleiter um, und die Bedienung begrüßte sie mit freundlichen Worten. Rasch fragte Zvonko nach einem Tisch und ließ sich an der Trinkgesellschaft vorbei in den Saal führen. Gerade als die Bedienung seine Bestellung entgegennahm, ging die Tür auf. Er sah nicht, daß es Laurenti und seine Frau waren, die nun ebenfalls den Speisesaal betraten und einen Tisch auf der anderen Seite des Raumes wählten, hinter dem riesigen Kachelofen, der mitten im Saal thronte. Dafür setzten sich zwei Männer mit ausgebeulten Jacketts an einen Tisch, von dem aus sie das ganze Lokal übersahen. Zvonko und Milan senkten rasch ihre Stimmen.
    *
    Laurenti stand am vordersten Rand der vier Meter hohen Trockenmauer, unter der die nächste Terrasse mit Rebstöcken lag. Der Fotograf rief, sie mögen enger zusammenrücken. Die Freunde lachten und hoben die Gläser, als er mehrfach auf den Auslöser drückte. Einer mit einer riesigen roten Nase gab Laurenti einen herzhaften Klaps auf die Schulter, als in der Ferne plötzlich ein Schuß widerhallte. Alle richteten erschrockene Blicke den Berg hinauf. Nur Laurenti nicht. Er wankte und hatte die Augen schreckensweit aufgerissen. Er griff an seine Stirn. Ein dünner Blutfaden zog sich von der Schläfe über seine Wange hinab. Ein erstickter Schrei entrang sich seinem Mund, er wankte und fiel vornüber. Die beiden Männer neben ihm versuchten vergeblich, ihn aufzufangen. Ein paar Meter tiefer krachte er in die Rebstöcke und verschwand unter dem dichten Blätterdach.
    Schreie und helle Aufregung. Schnell hatten sie ihn erreicht, zogen den besinnungslosen Freund behutsam auf den Weg und betteten ihn aufs Gras. Als sie ihn auf den Rücken drehten, sahen sie einen Blutfleck auf seinem Hemd, der langsam größer wurde, und das Blut in seinem Gesicht. Laurenti atmete flach. Panisch schrie einer der Männer ins Mobiltelefon und versuchte, dem Rettungsdienst den umständlichen Weg zu beschreiben. Ein anderer rief, daß ein Hubschrauber gebraucht werde, ein dritter, daß sie eine Trage anfertigen sollten, mit der man den Verletzten zur Straße bringen könnte. Ein vierter, daß es besser sei, ihn nicht anzufassen, denn sie könnten seine Lage auch verschlimmern, und wieder ein

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