Totentanz
anderer erinnerte daran, daß man seine Frau informieren müßte. Und viel schneller, als sie zu hoffen wagten, drang aus der Ferne unaufhaltsam das Geheul der Sirenen näher. Sie schienen aus allen Richtungen heranzufahren. Dem Lärm nach war eine Armee im Anmarsch.
Epilog
»Heute vormittag gegen elf Uhr wurde in Triest ein tödliches Attentat auf einen hohen Polizeibeamten verübt«, lautete die Ansage im Nachrichtenüberblick zur Mittagszeit. Die Topmeldung des Tages verdrängte die Nachricht von Platz eins, daß US-Präsident George W. Bush und der britische Premierminister Tony Blair sich durch die eskalierende Gewalt nicht von ihrem festgelegten Kurs in der Irak-Politik abbringen lassen wollten. Und auch der Orkan, der über New Orleans herzufallen drohte, schaffte es nur auf Rang drei. Die Meldung über den Anschlag auf Laurenti verbreitete sich in Windeseile und sollte in den nächsten Tagen alle überregionalen Medien füllen, wie stets, wenn Richter, Staatsanwälte oder Mitglieder der Ordnungskräfte Opfer waren. An ihre Hinterbliebenen wurde bei der Beerdigung zusammen mit der sorgsam gefalteten Tricolore oft ein hoher Verdienstorden überreicht. Ein Archivfoto Laurentis wurde gezeigt, das vor über zehn Jahren geschossen worden war, als der Silberstich in seinem Haar noch nicht zu erkennen war. »Der zweiundfünfzigjährige Kommissar Proteo Laurenti erlag noch während des Transports ins Polyklinikum Cattinara seinen Verletzungen. Bislang sind keine Details über den Anschlag bekannt, außer daß der Chef der Triestiner Kriminalpolizei während der Weinlese an der Steilküste unterhalb des Vororts Santa Croce erschossen wurde. Die Tatwaffe war vermutlich ein Scharfschützengewehr. Die Behörden hüllen sich in Schweigen. So ist im Moment nicht einmal zu erfahren, in welchem Fall der Kommissar aktuell ermittelte und ob dort die Drahtzieher des Attentats zu suchen sind oder ob es sich um einen Racheakt aus der Vergangenheit handelt. Fest steht lediglich, daß unsere Ermittler zunehmend in Gefahr sind und die Hemmschwellen der Verbrecher stetig weiter sinken. In der Mehrzahl der Fälle handelt es sich heute nicht mehr um Taten, die einer klar umrissenen Tätergruppe zugeschrieben werden können. Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit des organisierten Verbrechens funktioniert seit langem besser als die auf politischer oder kultureller Ebene. Das gilt für Grenzstädte wie Triest im besonderen.«
Während die Nachrichtensprecherin mit sachlicher Stimme die Meldung verlas, schwenkte die Kamera über das Polizeipräsidium, den Hafen, zeigte die Stadt in einer Luftaufnahme und schließlich den Teil der Steilküste, wo sie Laurentis Haus vermutete. Dann kam die Befragung der Zeugen, Laurentis Freunde von der Weinlese, die niedergeschlagen um einen Tisch versammelt saßen und sich kaum zum Tathergang äußern konnten.
»Er fiel plötzlich um. Wie ein gefällter Baum. Zuerst dachten wir, er hätte das Gleichgewicht verloren. Keiner konnte ihn halten. Wir riefen umgehend den Notarzt. Wir sind sehr betroffen.« Das Bild zeigte die bedrückten Gesichter, sie waren lange zu keinem weiteren Wort zu bewegen, bis einer schließlich das Schweigen brach. »Gott gnade dem Schwein, daß es mir nie zwischen die Finger kommt.« Dann begann er die Melodie eines Trauerlieds zu summen. In slowenischer Sprache stimmten sie das Lied auf den Freund an, und die indiskrete Kamera zeigte die Tränen, die diesen kräftigen Männern über die Wangen liefen.
Schnitt.
Eine Dienstlimousine setzte den Staatsanwalt mit dem schütteren Haar und dem aschgrauen Gesicht vor dem mächtigen, neoklassizistischen Gerichtspalast ab, in dem sich sein Büro befand. Die Reporter drängten ihn zu einer Stellungnahme, doch der Mann verwies lediglich darauf, daß für den Nachmittag eine Pressekonferenz angesetzt sei, eilte kommentarlos weiter und verschwand im Gebäude. Damit war der Weg für die sonstigen Tagesnachrichten frei.
Marco erschien nicht zur Arbeit im Restaurant und Laura nicht in ihrem Versteigerungshaus. Das Haus an der Küste war von den Ordnungskräften hermetisch abgeriegelt worden. Und auch auf dem Meer hielt ein Motorboot der Polizia Marittima unverändert Position. Telefonisch war das Haus der Laurentis nur für jene wenigen erreichbar, denen die sofort eingerichtete Sondernummer bekannt war.
Im Polizeipräsidium jagte eine Sitzung die andere. Der Chef tobte, denn die kleine Inspektorin, die als erste bei ihm vorsprach und
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