Totentanz
ihre Strategie so überzeugend vorstellte, daß er sofort zugestimmt und ihr die Ermittlungen übertragen hatte, blieb für Stunden unauffindbar und meldete sich nicht einmal am Telefon. Erst am Nachmittag tauchte sie wieder auf, sagte lediglich, daß sie einer dringenden Spur gefolgt war, die sich leider als Irrtum herausgestellt habe, und steckte die Abreibung, die ihr der Questore vor allen anderen Kollegen erteilte, ohne mit der Wimper zu zucken, weg. »Ich dulde keine Alleingänge und erwarte einen schriftlichen Bericht zu Ihrer Rechtfertigung. Aber erst nachdem wir hier weiter sind. Jetzt konzentrieren sich alle auf die Ermittlungen. Ich will über die kleinste Erkenntnis informiert werden, auch wenn Sie sie für unwichtig halten. Ist das klar?«
Pina Cardareto war ohne weitere Mitteilungen von der Unglücksstelle verschwunden, sobald der Hubschrauber, mit dem Laurenti abtransportiert wurde, von der Küstenstraße unterhalb des Weinbergs abgehoben hatte. Die Gegend wurde von uniformierten Beamten durchkämmt, und sie hatte rasch bemerkt, daß keiner der Freunde Laurentis zur Aufklärung des Attentats beitragen konnte. Sie hatten neben ihm gestanden, als der Schuß fiel, und waren zuerst der Meinung gewesen, er sei gestürzt, weil einer Laurenti einen zu heftigen Schlag auf den Rücken gegeben hatte. Es kam ihnen überhaupt nicht in den Sinn, daß der Schütze leicht auch einen von ihnen hätte erwischen können. Sardoč und Bezzi, die erfahrenen Profis, die sein Leben schützen sollten, konnten nicht mehr beitragen, als vage die Richtung zu beschreiben, aus der der Schuß abgegeben worden war. Bezzi war sofort mit dem BMW durch die engen Sträßchen gejagt, die sich den Berg hinaufwanden. Weiter oben wurde nach wie vor Wein gelesen, die Leute dort hatten keine Ahnung von dem, was ein paar hundert Meter Luftlinie von ihnen entfernt passiert war, bis auch sie von dem Polizeiaufgebot und durch den Hubschrauberlärm aufgeschreckt wurden. Nur der Audi mit dem Münchner Kennzeichen stand nicht mehr auf seinem Platz. Bezzi gab den Fahndungsbefehl durch und kehrte wenig später zu Sardoč zurück, der versuchte, die eintreffenden Hilfskräfte zu koordinieren. Es war kein Ruhmesblatt, daß sie Laurenti unbewacht ließen, doch am Ende hätte ihn die Kugel eines Scharfschützen auch treffen können, wenn sie dicht neben ihm gestanden hätten. Sie wußten, daß ihnen vorgeworfen werden würde, ihrer Pflicht nicht nachgekommen zu sein, und daß sie nun eine Menge Beschimpfungen und Drohungen über sich ergehen und lange Berichte schreiben müßten.
Pina Cardareto ging anderes durch den Kopf. Für sie gab es einen unmittelbaren Zusammenhang mit den Festnahmen der letzten Tage, und sie wußte, daß nur schnelles Handeln den Triumph der Attentäter verhindern konnte. Sie jagte den Dienstwagen mit heulender Sirene in die Stadt zurück und raste die Treppen zum Büro hinauf, nachdem sie das Fahrzeug in der zweiten Reihe vor der Questura abgestellt hatte.
»Ruf den Chef an und sag ihm, daß ich ihn umgehend sprechen muß«, rief sie Marietta zu, die mit verheulten Augen an ihrem Schreibtisch saß. Zwei Zigaretten glimmten gleichzeitig im übervollen Aschenbecher vor ihr. »Am besten kommst du auch gleich mit«, sagte die Inspektorin mitfühlend und faßte sie sanft an der Schulter.
Die beiden Frauen liefen durch den Flur. Pina mit ihren Sportschuhen vorneweg und Marietta in Pumps und mit lautem Getacker hinterher. Der Questore erwartete sie im Vorzimmer.
»Es gibt nur eine mögliche Strategie«, hob sie an, bevor sie sich auf den Stuhl fallen ließ, auf den der Chef wies. Marietta blieb neben ihr stehen. In knappen Worten schilderte Pina ihre Sicht und umriß in beschwörenden Worten die Notwendigkeit einer absoluten Nachrichtensperre, jene gezielten Mitteilungen ausgeschlossen, die allein der Questore verlautbaren sollte.
»Wir müssen es schaffen, daß sich die Gegenseite bewegt und Fehler macht«, sagte Pina. »Nur wenn sie sich in Sicherheit wiegen, haben wir eine Chance, sie zu schnappen.«
Die Vorzimmerdame des Questore kam herein und kündigte den Staatsanwalt an.
»Das trifft sich gut«, antwortete der und wandte sich zur Tür. »Inspektorin, Sie müssen gleich alles noch einmal wiederholen.«
»Laurenti ist einen Schritt zu weit gegangen.« Der Mann mit dem schütteren Haar schüttelte schließlich unwirsch den Kopf. »Es ist nichts zu machen, der Richter hat unser Ersuchen der Totalüberwachung abgelehnt. Er
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