Totentöchter - Die dritte Generation
platzt es aus mir heraus: »Wie hältst du das nur aus, Rose?«
Sie dreht ihren Kopf auf dem Kissen zu mir und sieht mich an. Ihre Zunge ist dunkellila. »Was?«
»Stört es dich denn nicht, dass er wieder geheiratet hat, obwohl du noch am Leben bist?«
Sie lächelt, sieht zur Decke und spielt mit einem Bonbonpapier
herum. »Ich habe ihn darum gebeten. Ich habe ihn davon überzeugt, dass es leichter sein wird, wenn die neuen Frauen schon im Haus sind.« Sie schließt die Augen und gähnt. »Abgesehen davon wurde er in Gesellschaftskreisen bereits verspottet. Die meisten Hauswalter haben mindestens drei Ehefrauen, manche sieben, eine für jeden Wochentag.« Das ist nun doch so absurd, dass sie ein bisschen lacht – und ein Husten unterdrückt. »Aber Linden nicht. Hausprinzipal Vaughn versucht schon seit Jahren, ihn dazu zu überreden, doch er hat immer abgelehnt. Schließlich erklärte er sich einverstanden, jedoch nur, wenn er selbst die Wahl treffen durfte. Bei mir hatte er nicht die Wahl.«
Ihre Stimme ist ganz ruhig und sie ist so seltsam heiter. Es macht mir Sorgen, dass ich ihr Liebling unter den neuen Bräuten geworden bin, nur wegen meines blonden Haares, meiner vagen Ähnlichkeit mit ihr. Sie ist so ein geistreiches, gebildetes Mädchen. Ob sie sich wohl denken kann, dass ich Linden niemals lieben werde – schon gar nicht so, wie sie es tut – und dass er nie wieder jemanden so lieben wird, wie er sie liebt? Ob ihr wohl klar ist, dass ich trotz all ihrer Bemühungen, mich zu schulen, niemals ihren Platz einnehmen kann?
Ich will ein Spiel spielen«, sagt Cecily.
Jenna sieht nicht von ihrem Roman auf. Sie hat sich gelangweilt auf der Couch ausgestreckt, die Beine baumeln über die Lehnen. »Davon gibt’s hier ja genug.«
»Keyboard oder virtuelles Skifahren meine ich nicht«, bleibt Cecily hartnäckig. »Ich meine ein Spiel-Spiel.« Sie guckt mich Hilfe suchend an, aber das einzige Spiel, das ich kenne, ist das Aufstellen von Lärmfallen mit meinem Bruder in der Küche, damit wir die Nacht heil überstehen. Und als ich von den Sammlern geholt wurde, habe ich gewissermaßen verloren.
Ich hocke auf der Fensterbank im Wohnzimmer – einem Raum voller virtueller Sportspiele und einem Keyboard, das ein Symphonieorchester imitieren kann – und starre die Orangenblüten an, die wie Tausende winzige, weiß geflügelte Vögel vom Himmel schweben. Rowan würde das nicht für möglich halten – das Leben, für das sie stehen, die Gesundheit und Schönheit. Manhattan ist voll von um ihr Leben ringenden, verkrüppelten Pflanzen, die aus dem Asphalt wachsen. Und die nach Kühlhaus riechenden Nelken, die man kaufen kann, bestehen aus mehr Chemie als Blume.
»Kennst du keine Spiele?« Cecily fragt mich jetzt
ganz direkt. Ich spüre, wie ihre braunen Augen mich anstarren.
Nun ja. Es gab da ein Spiel, mit Pappbechern und Schnur und einem kleinen Mädchen, das auf der anderen Seite des schmalen Durchgangs wohnte. Ich mache den Mund auf, bereit, es zu erklären, ändere dann aber meine Meinung. Ich will meine Geheimnisse nicht in einen Pappbecher flüstern und sie mit meinen Schwesterfrauen teilen. Eigentlich habe ich nur ein Geheimnis, das richtig zählt, und das ist mein Fluchtplan.
»Wir können das virtuelle Angelspiel spielen«, sage ich und muss Cecily nicht mal ansehen, um ihre Verärgerung zu spüren.
»Es muss doch etwas Echtes geben, was wir machen können«, sagt sie. »Das muss es einfach.« Sie verlässt das Zimmer und ich höre sie auf dem Flur umhertapsen.
»Armes Kind«, sagt Jenna und richtet den Blick für einen Moment auf mich. Dann sieht sie wieder in ihr Buch. »Sie begreift nicht mal, was für ein Ort das hier ist.«
Es passiert eines Mittags. Gabriel bringt mir mein Essen in die Bibliothek, die zu meinem neuen Lieblingsplatz geworden ist. Er bleibt stehen und guckt mir über die Schulter, als er die Zeichnung eines Schiffes auf der Buchseite sieht.
»Was liest du?«, fragt er.
»Ein Geschichtsbuch«, sage ich. »Dieser Forscher hier hat bewiesen, dass die Erde rund ist, indem er eine Mannschaft zusammengestellt hat und mit drei Schiffen komplett um sie herumgesegelt ist.«
»Mit der Niña, Pinta und Santa Maria«, sagt er.
»Du kennst dich aus in Weltgeschichte?«, frage ich.
»Ich kenne mich mit Schiffen aus«, sagt er, setzt sich hinter mich auf die Sessellehne und zeigt auf das Bild. »Das hier ist eine Karavelle.« Er fängt an, mir ihren Aufbau zu beschreiben –
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