Totentöchter - Die dritte Generation
Haufen«, sagt er. »Sie hat sie mich immer kistenweise bestellen lassen. Hier …« Er führt mich in eine Speisekammer zwischen dem Einbaukühlschrank und der Wand aus Herden. Dort stehen Holzkisten, die von in allen Farben schimmernden Einwickelpapieren überquellen. Ich kann den Zucker riechen und die künstlichen Farbstoffe. Sie hat sie bestellt, und hier warten sie darauf, in ihre Kristallschale gefüllt und genüsslich verzehrt zu werden.
Meine Sehnsucht muss mir wohl deutlich ins Gesicht geschrieben stehen, denn Gabriel füllt mir Bonbons in eine Papiertüte. »Nimm, so viel du willst. Sie verderben sonst nur.«
»Danke«, sage ich.
»He, du, Blondie«, ruft mir die Chefköchin zu. Sie ist Erstgenerationerin mit fettigem Haar, das zu einem ergrauenden Knoten gebunden ist. »Solltest du nicht lieber nach oben fahren, bevor dein Ehemann dich hier erwischt?«
»Nein«, sage ich. »Ihm wird gar nicht auffallen, dass ich weg bin. Er bemerkt mich nicht.«
»Er bemerkt dich«, sagt Gabriel.
Ungläubig sehe ich ihn an, aber er hat seine blauen Augen von mir abgewandt.
Einer der Köche öffnet die Hintertür und schüttet einen Topf voll Wasser hinaus, weil das Spülbecken gerade von der grummelnden Chefköchin benutzt wird. Ein Schwall kalter Luft weht mir das Haar aus dem Gesicht. Ich sehe blauen Himmel blitzen und grüne Erde, dann ist
es vorbei. Hier gibt es also keine Schlüsselkarten und keine Riegel. Deshalb dürfen die Ehefrauen ihre Etage nicht verlassen. Nicht jeder Teil der Villa ist darauf ausgelegt, uns gefangen zu halten.
»Bist du manchmal draußen?«, frage ich Gabriel leise.
Er lächelt mich wehmütig an. »Nur zur Gartenarbeit oder um Waren hereinzuholen. Nichts schrecklich Aufregendes.«
»Was ist da draußen?«
»Die Ewigkeit«, sagt er mit einem kleinen Lachen. »Gärten. Ein Golfplatz. Vielleicht noch einiges andere. Ich war nie verantwortlich für die Gartenarbeit, deshalb weiß ich es nicht. Ich hab nie gesehen, wo er endet.«
»Für dich gibt es da draußen nur eine Welt voller Ärger, Blondie«, sagt die Chefköchin. »Dein Platz ist dort oben auf deiner rüschigen Etage, wo du in seidenen Laken herumliegen und dir die Zehennägel lackieren kannst. Jetzt geh, bevor du uns alle in Schwierigkeiten bringst.«
»Komm schon«, sagt Gabriel. »Ich bringe dich rauf.«
Auf der Etage der Ehefrauen ist Roses Tür geschlossen und alle Diener und Hausangestellten sind weg. Cecily sitzt allein auf dem Flur und spielt irgendein Spiel mit einem Stück Garn, der um ihre Finger gewickelt ist. Sie singt vor sich hin, aber als die Fahrstuhltüren sich öffnen, verstummt sie und beobachtet, wie ich zu meinem Zimmer hinübergehe.
»Was hast du mit diesem Diener gemacht?«, fragt sie, als Gabriel weg ist.
Die Papiertüte mit den Bonbons hat sie nicht gesehen, und ich stopfe sie in meinem Nachttisch zu dem Efeublatt,
das ich zwischen den Seiten eines Liebesromans aus der Bibliothek gepresst habe. Da stehen so viele Bücher – ich glaube nicht, dass jemand dieses hier vermissen wird.
Ich drehe mich gerade um, als Cecily in meiner Tür erscheint und auf eine Antwort wartet. Wir sind jetzt Schwesterfrauen, doch was auch immer das in anderen herrschaftlichen Häusern bedeuten mag, ich hab nicht das Gefühl, ihr trauen zu können. Ihr fordernder Ton gefällt mir auch nicht. Immer ist sie ungeduldig, immer hat sie etwas zu fragen.
»Ich habe gar nichts mit ihm gemacht«, sage ich.
Ich setze mich auf mein Bett und sie zieht die Augenbrauen hoch. Vielleicht wartet sie darauf, dass ich sie bitte, sich zu mir zu setzen. Ohne Erlaubnis darf eine Schwesterfrau nicht das Zimmer einer anderen betreten. Das ist fast das Einzige, was ich an Privatsphäre habe, und das gebe ich nicht auf. Doch ich kann nichts tun, um sie vom Reden abzuhalten.
»Nun ist Lady Rose tot«, sagt sie. »Linden ist frei, um uns jederzeit zu besuchen.«
»Wo ist er?« Ich kann nicht anders, ich muss einfach fragen.
Cecily sieht prüfend auf das Garn, das sie um ihre Finger gewickelt hat, und scheint damit oder mit der Gesamtsituation nicht zufrieden zu sein. »Ach, er ist in ihrem Zimmer. Alle anderen mussten weggehen. Ich hab geklopft, aber er will nicht herauskommen.«
Ich gehe zu meinem Frisiertisch und beginne, mir die Haare zu bürsten. Ich will geschäftig wirken, damit ich keine Konversation machen muss, und in diesem Zimmer
kann man sonst nichts anderes tun als die Wand anstarren. Eine Weile bleibt Cecily noch in der Tür
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