Totentöchter - Die dritte Generation
die drei Masten, die Takelung. Alles, was ich von diesen Erklärungen wirklich verstehe, ist, dass der Schiffstyp spanisch war. Aber ich unterbreche ihn nicht. Ich sehe das Leuchten in seinen blauen Augen, bemerke, dass er sich eine kurze Auszeit vom eintönigen Kochen und Servieren der Speisen für Lindens Bräute genommen hat, dass er eine Leidenschaft für etwas hat.
Während ich in seinem Schatten im Sessel sitze, merke ich sogar, wie ich anfange zu lächeln.
Da platzt Cecilys Dienerin Elle herein. »Da bist du ja!«, schreit sie Gabriel an. »Du musst dich beeilen und Lady Rose etwas gegen ihren Husten bringen.«
Jetzt höre ich sie husten, am Ende des langen Gangs. Das Geräusch gehört so zu diesem Ort, dass ich es nicht immer gleich wahrnehme. Gabriel springt schnell auf, und ich schlage das Buch zu, um ihm zu folgen.
»Nicht«, sagt er und hält mich an der Tür auf. »Es ist besser, wenn du hierbleibst und wartest, bis es vorüber ist.«
Doch über seine Schulter hinweg sehe ich ungewöhnliches Chaos. Hausgehilfen huschen umeinander, Diener erster Generation kommen aus dem Fahrstuhl mit allerlei Flaschen und einem Apparat, der an den Luftbefeuchter erinnert, den meine Eltern in dem Winter in meinem Zimmer aufgestellt haben, als ich Lungenentzündung
hatte. Aber das Ganze hat etwas Sinnloses und das spürt Gabriel auch. Ich sehe es an seinem Blick.
»Bleib hier« sagt er wieder. Aber natürlich folge ich ihm auf den Flur.
Da draußen ist es so beängstigend, dass ich mit ihm in den Fahrstuhl steigen möchte, was wahrscheinlich nicht erlaubt ist, aber darüber mache ich mir im Moment keine Gedanken. Gabriel zieht seine Schlüsselkarte über den Scanner und die Fahrstuhltüren öffnen sich gerade – als alles aufhört. Die Hausgehilfen erstarren an Ort und Stelle, die Diener halten Decken und Pillen und Beatmungsgeräte fest. Linden kniet an Roses Bett, das Gesicht in die Matratze gedrückt. Er hält ihren langen weißen Arm und meine Augen fahren daran hoch zu ihrem Körper, der sich nicht regt, nicht atmet. Ihr Nachthemd, ihr Gesicht, alles ist mit dem Blut bespritzt, das sie ausgehustet haben muss, als sie diese grauenvollen Geräusche von sich gegeben hat. Doch jetzt erfüllt eine unheimliche Stille die Etage. Das ist die Stille, wie ich sie mir im Rest der Welt vorstelle, die Stille eines endlosen Ozeans und unbewohnter Inseln, eine Stille, die vom Weltraum aus sichtbar ist.
Cecily und Jenna kommen aus ihren Zimmern, und es ist so still, dass wir die gepressten Laute aus Lindens Kehle hören.
»Geht weg«, murmelt er. Dann lauter: »Geht weg!« Doch erst, als er eine Vase an der Wand zerschmettert, springen wir alle auseinander. Ich lande mit Gabriel im Fahrstuhl, und als sich die Türen hinter uns schließen, bin ich dankbar.
Mir bleibt nichts anderes übrig, als Gabriel in die
Küche zu folgen, sonst würde ich mich verirren. Ich setze mich auf eine Arbeitsplatte und esse Weintrauben, während die Köche und Diener sich bei der Arbeit unterhalten. Neben mir lehnt Gabriel am Küchentisch und putzt Silber.
»Ich weiß, dass du Rose gernhattest«, flüstert er mir zu, »aber du wirst feststellen, dass sie hier unten nicht gerade beliebt war. Sie hat dem Personal das Leben schwer gemacht.«
Wie zur Bestätigung kreischt die Chefköchin los: »Meine Suppe ist nicht heiß genug! Oh, jetzt ist sie zu heiß!« Dabei macht sie übertriebene Erbrechensgeräusche, worüber die anderen sich schier ausschütten vor Lachen.
Ich will nicht leugnen, dass mich das schmerzt. Ich habe Roses Zorn auf die Helfer selbst miterlebt, aber mir gegenüber hat sie niemals die Stimme erhoben. Hier an diesem Ort voller Spritzen, trübsinniger Hauswalter und bedrohlicher Hausprinzipale ist sie meine einzige Freundin gewesen.
Trotzdem sage ich nichts. Unsere Beziehung war eine ganz private Sache, und von diesen Leuten, die sich hier auf ihre Kosten lustig machen, würde das ohnehin niemand verstehen. Ich zupfe Trauben von den Stielen, drehe eine nach der anderen zwischen meinen Fingern, bevor ich sie wieder in die Schale lege. Bei seiner Arbeit sieht Gabriel immer wieder verstohlen zu mir hinüber, und für eine Weile hält das an, während Millionen von Meilen entfernt alle anderen in der Küche laut plappern. Und oben ist Rose tot.
»Sie hatte immer diese Bonbons«, sage ich wehmütig. »Von denen die Zunge ihre Farbe verändert.«
»Die heißen Junibeeren«, sagt Gabriel.
»Gibt es noch welche?«
»Klar.
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