Totentöchter - Die dritte Generation
Tablett holt«, sagt er und geht.
Ich nehme ein warmes Bad, liege lange in dem rosa Schaum. An das Prickeln, das die Bläschen auf meiner Haut hinterlassen, habe ich mich gewöhnt. Nachdem ich mein Haar getrocknet habe, ziehe ich Jeans und einen Pullover an, der sich himmlisch anfühlt. Alles Deidres Werk. Ich glänze immer in den Sachen, die sie mir macht. Eine Weile treibe ich mich auf dem Korridor herum, rechne damit, dass Cecily mich dort finden und zu ihrem Vogelnest bringen wird, aber sie ist nicht da.
»Hauswalter Linden hat sie mit hinaus in die Gärten genommen«, sagt Jenna, die das Register der Bibliothek
durchblättert, als ich zu ihr stoße. Ihre Stimme klingt heute klarer, weniger missmutig. Sie sieht mich sogar an, nachdem sie gesprochen hat, und spitzt die Lippen, als wüsste sie nicht recht, ob sie noch mehr sagen soll. Dann schaut sie wieder auf die Karteikarten.
»Warum nennst du ihn Hauswalter Linden?«, frage ich sie.
Bei unserem Hochzeitsmahl hat Hausprinzipal Vaughn uns erklärt, dass man ihn mit Hausprinzipal ansprechen müsse, da er der höchstrangige Mann im Hause sei. Doch man erwarte von uns, dass wir unseren Ehemann als Zeichen der Vertrautheit beim Vornamen nennen.
»Weil ich ihn hasse«, sagt sie.
In ihren Worten liegt keine Bosheit, das ist kein dramatischer Ausbruch, doch an ihren grauen Augen sieht man, dass sie es wirklich so meint. Ich sehe mich um und vergewissere mich, dass niemand sie gehört hat. Der Raum ist leer.
»Das verstehe ich«, sage ich. »Aber ihn bei Laune zu halten, könnte es leichter machen. Vielleicht erhalten wir mehr Freiheiten.«
»Das mache ich nicht«, sagt sie. »Freiheit bedeutet mir nichts mehr. Es ist mir gleich, ob ich hier sterbe.«
Sie sieht mich an, und ich bemerke, wie dunkel die Ringe unter ihren Augen sind. Ihre Wangen sind hohl, die Knochen treten hervor. Vor ein paar Wochen, in ihrem Hochzeitskleid, hatte sie verloren ausgesehen, aber hübsch. Jetzt wirkt sie abgemagert und um Jahre gealtert. Ein Geruch von Zimtbadeseife und Erbrochenem umgibt sie. Aber sie trägt ihren Ehering, das Symbol dafür, dass wir Schwesterfrauen sind, dass wir diese Hölle
ebenso teilen wie den langen Albtraum im Lastwagen. Sie könnte eines der Mädchen gewesen sein, die sich in der Schwärze neben mir zusammengekauert haben. Sie könnte diejenige gewesen sein, die geschrien hat.
Was sie in dieser Kartei auch gesucht haben mag, sie findet es. Lautlos sagt sie die Nummer des Gangs, prägt sie sich ein und schließt die Schublade.
Ich folge ihr. Sie schlendert einen Gang hinunter, fährt dabei mit dem Finger über die Buchrücken, tippt eines an und zieht es heraus. Das Buch ist staubig, der Einband zerfressen und die Seiten gelb und brüchig. Sie blättert es durch. All diese Bücher sind aus dem 21. Jahrhundert oder älter, was nicht weiter merkwürdig ist. Im Fernsehen laufen auch alte Filme, die meisten Sendungen spielen in der Vergangenheit. In eine Welt einzutauchen, in der Menschen lange leben, ist mittlerweile eine Form von Eskapismus. Was früher einmal real und natürlich war, ist zu Fantasy geworden.
»Es gibt hier jede Menge Liebesgeschichten«, sagt sie. »Entweder enden sie glücklich oder alle sterben.« Sie lacht, aber es klingt eher wie ein Schluchzen. »Was gibt es auch sonst, nicht wahr?«
Sie starrt auf die aufgeschlagenen Seiten und sieht aus, als breche sie gleich zusammen. Tränen stehen ihr in den Augen, und ich rechne damit, dass sie herunterlaufen werden, doch das tun sie nicht. Sie kann sie zurückhalten.
In diesem Gang riecht es ziemlich muffig – vergilbte Seiten und Schimmel und etwas anderes, etwas, was mir vage bekannt vorkommt. Es riecht wie die Erde im Garten in der Nacht, in der mein Bruder und ich unsere
Habseligkeiten vergraben haben. Meine Schwesterfrau Jenna ist nicht so wie Cecily, die in einem Waisenhaus aufgewachsen ist und sich jetzt geehrt fühlt, Braut eines reichen Hauswalters zu sein. Nein. Sie ist wie ich. Sie hat etwas Wertvolles verloren, sie hat Dinge begraben, die ihr gehört haben.
Ich zögere, bin nicht sicher, ob ich ihr meinen Plan enthüllen kann, Lindens Vertrauen zu gewinnen und dann zu fliehen. Sie scheint sich damit abgefunden zu haben, in diesem Haus zu verrotten, doch vielleicht ist ihr einfach nie in den Sinn gekommen, dass es einen Ausweg geben könnte.
Wenn ich mich jedoch irre, was sollte sie davon abhalten, mich zu verraten?
Mit dieser Frage schlage ich mich noch herum, als Cecily in
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