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Totentöchter - Die dritte Generation

Totentöchter - Die dritte Generation

Titel: Totentöchter - Die dritte Generation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: cbt Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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gekämpft«, sage ich und automatisch krampfen sich meine Finger zu Klauen zusammen. »Ich habe gekratzt, gebissen, getreten. Es hat nichts genützt. Sie haben uns alle in einen Lastwagen getrieben. Und ich weiß nicht, wie lange wir gefahren sind. Manchmal hielten wir an, die Türen gingen auf und noch mehr Mädchen kamen herein. Es war so furchtbar da drinnen.«
    Ich erinnere mich an die Schwärze. Es gab keine Wände, kein oben und unten. Ob ich lebte oder tot war, wusste ich nicht. Ich lauschte den anderen Mädchen, wie sie um mich herum atmeten, über mir, in mir, und das war die ganze Welt für mich. Nur diese verängstigt keuchenden Atemgeräusche. Ich dachte, ich wäre verrückt geworden. Und vielleicht bin ich verrückt, denn ich glaube jetzt noch, die Schüsse der Sammler zu hören, und zucke zusammen. Um mich herum fliegen Funken.
    Gabriel hebt den Kopf, gerade als das Licht anfängt zu flackern. Es gibt einen lauten Knall – kein Schuss, sondern irgendein mechanisches Geräusch. Unsere Kabine ruckelt und dann gehen die Türen auf. Gabriel zerrt mich hoch und wir laufen auf den Korridor, aber es ist nicht der der Köche. Dieser hier ist dunkler und riecht steril. Neonlichter flimmern an der Decke und die Bodenfliesen reflektieren das schwache Bild unserer Schuhe vor jedem Schritt.

    »Wir müssen ein Stockwerk tiefer gefahren sein«, sagt Gabriel.
    »Was? Warum?«, frage ich.
    »Sturm«, sagt er. »Manchmal fahren vorsichtshalber alle Fahrstühle in den Keller.«
    »Sturm? Vor einer Minute war es draußen noch sonnig«, sage ich und bin erleichtert, dass die Angst nicht in meiner Stimme zu hören ist. Die Schluchzer haben auch aufgehört und nur noch leise, unregelmäßige Hickser als Nachhut zurückgelassen.
    »Hier an der Küste bekommen wir eine Menge davon ab«, sagt er. »Manchmal aus heiterem Himmel. Keine Sorge, wenn es ein Hurrikan wäre, hätten wir den Alarm gehört. Starke Winde können schon mal die Elektroanlage durcheinanderbringen und einen Fahrstuhl lahmlegen, das ist nichts Ungewöhnliches.«
    Hurrikan. Tief aus meiner Erinnerung tauchen Fernsehbilder von einem wütend wirbelnden Wind auf, der Häuser zerstört. Es sind immer die Häuser, die draufgehen, manchmal auch Teile von Zäunen oder ein Baum, der entwurzelt wird, mal eine kreischende Heldin im Westernoutfit, aber immer Häuser. Ich stelle mir vor, wie ein Hurrikan dieses Haus zertrümmert und in Fetzen reißt. Könnte ich dann flüchten?
    »Das ist also der Keller?«, frage ich.
    »Ich glaube schon«, sagt Gabriel. »Also, ich war noch nie hier unten. Ich war nur da, wo der Schutzkeller ist. Ohne Erlaubnis von Hausprinzipal Vaughn darf niemand hier runter.« Er wirkt nervös, und ich weiß, dass Hausprinzipal Vaughn der Grund dafür ist. Ich kann den Gedanken nicht ertragen, wie Gabriel wegen meiner Verfehlungen
in mein Zimmer humpelt, tieftraurig und übersät von blauen Flecken.
    »Komm, wir fahren wieder hoch, bevor uns jemand erwischt«, sage ich.
    Er nickt. Doch die Fahrstuhltüren haben sich geschlossen und wollen auch nicht aufgehen, als er seine Schlüsselkarte über den Scanner zieht. Er versucht es mehrmals, dann schüttelt er den Kopf.
    »Der hat keinen Strom«, sagt er. »Kommt schon wieder, aber das kann dauern. Irgendwo weiter den Gang hinunter muss es noch einen geben, mit dem wir es versuchen können.«
    Wir laufen diesen langen Korridor mit dem flackernden Licht entlang, das manchmal aussetzt und uns anzischt. Vom Hauptgang gehen andere dunklere Flure mit geschlossenen Türen ab, und ich will ganz bestimmt nicht wissen, wohin sie führen. Diese Etage will ich nie wieder sehen. Hier werden ganz schlimme Erinnerungen wach, die zu Albträumen geronnen sind, in denen die ermordeten Mädchen im Lastwagen auftauchen, in denen der Sammler-Dieb seine Hand auf meinen Mund legt und mir ein Messer an die Kehle hält. Irgendwas hier unten macht mir schweißnasse Hände. Und dann weiß ich es. Hier unten ist der Arzt gewesen, am Nachmittag vor dem Hochzeitstag. Deidre hat mich in diesen Korridor gebracht und mich in einen Raum geführt, in dem ich von einem Mann mit einer Nadel gestochen wurde und das Bewusstsein verlor.
    Diese Erinnerung macht mir Gänsehaut. Ich muss hier raus.
    Neben mir eilt Gabriel her, ohne mich anzusehen.
»Was du mir da erzählt hast«, sagt er leise, »das finde ich schrecklich. Und was du zuvor gesagt hast, dass du diesen Ort hasst? Das verstehe ich.«
    Ich wette, dass er das versteht.
    »Es ist

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