Totentöchter - Die dritte Generation
Hausprinzipal Vaughn, hab ich recht?«, sage ich. »Er hat dich geschlagen, oder? Und es war meine Schuld, weil ich mein Zimmer verlassen habe.«
»Du solltest überhaupt nicht in einem Zimmer eingeschlossen sein«, sagt er.
Mit einem Mal wird mir klar, dass ich ihn kennen möchte. Dass ich ihn mit seinen blauen Augen und seinem kupferbraunen Haar inzwischen als Freund ansehe – und das schon eine ganze Weile. Es gefällt mir, dass wir endlich über wichtigere Dinge miteinander sprechen, als was es zum Mittag gibt oder was ich lese oder ob ich Zitronen zum Tee möchte – ich will nie welche.
Ich will mehr über ihn wissen und ich will ihm mehr über mich erzählen. Über mein wirkliches, unverheiratetes Wesen, wie es war, bevor ich dieses herrschaftliche Haus von innen gesehen habe … als ich zwar an einem gefährlichen Ort lebte, aber frei und glücklich war. Ich mach den Mund auf, aber er hält mich zurück, packt mich am Arm und zerrt mich in einen der dunklen Seitenflure. Ich kann nicht mal protestieren, als ich bereits höre, wie etwas klappernd näher kommt.
Wir drücken uns an die Wand. Wir versuchen die Schatten zu sein, die uns verdecken. Wir wollen am liebsten das Weiß in unseren Augen dimmen.
Stimmen nähern sich. »… natürlich ist eine Einäscherung nicht möglich …«
»Eine Schande, das arme Mädchen zu zerstören.«
Ein Seufzen, ein Tss-tss.
»Es geschieht zum Wohle der Menschheit, wenn dadurch andere Leben gerettet werden.«
Die Stimmen sind mir nicht vertraut. Und wenn ich den Rest meines Lebens in diesem Haus verbringe, werde ich wohl trotzdem nie alle Räume kennen und alle Bediensteten. Doch als die Stimmen näher kommen, sehe ich, dass es Leute sind, die nicht wie Diener gekleidet sind. Sie sind weiß angezogen, tragen dieselben weißen Schutzhauben wie meine Eltern bei der Arbeit und Plastik vor den Gesichtern. Bioschutzanzüge. Sie schieben einen Wagen.
Gabriel packt mein Handgelenk und drückt es; ich verstehe nicht, warum. Ich verstehe überhaupt nicht, was hier geschieht, bis der Wagen näher kommt und ich sehen kann, was darauf liegt.
Ein mit einem Laken bedeckter Körper. Roses blondes Haar hängt über die Kante. Und ihre kalte weiße Hand mit den Fingernägeln, die immer noch rosa lackiert sind.
Ich halte den Atem an, als sie vorüberkommen. Eine Ewigkeit – die forschen Schritte, die klappernden Räder, die sich entfernen. Schweigend warten wir noch eine Weile, nur um sicherzugehen, und dann keuche ich, als würde ich ersticken.
»Wo bringen sie sie hin?«
Gabriels traurige Miene ist in der Dunkelheit gut zu erkennen. Er schüttelt den Kopf. »Hausprinzipal Vaughn muss vorhaben, an ihr zu forschen«, sagt er. »Seit Jahren schon sucht er nach einem Gegenmittel.«
»Aber«, krächze ich, »das ist Rose.«
»Ich weiß.«
»Linden würde das niemals zulassen.«
»Vielleicht nicht«, sagt Gabriel. »Aber wir können es ihm nicht sagen. Das hier haben wir nie gesehen. Wir waren nie hier.«
Wir finden den Fahrstuhl und gelangen zurück in den Korridor der Köche, wo eine Kakofonie aus Metall auf Metall, Teller auf Teller und dem Geschrei der Chefköchin herrscht, die jemanden einen faulen Drecksack schimpft. Eine Lachsalve. Sie ahnen nicht, dass man der Ehefrau, die sie so wenig leiden konnten, unter ihren Füßen einen kühlen Pfad durch die Flure gebahnt hat.
»He, Blondie ist hier!«, ruft jemand. Das ist inzwischen wohl mein offizieller Spitzname in der Küche. Obwohl die Bräute die Etage der Frauen eigentlich nicht verlassen sollen, macht es ihnen allem Anschein nach nichts aus, wenn ich an ihrem Arbeitsplatz herumsitze. Ich verlange nichts von ihnen, und das ist mehr, wie Gabriel meint, als man von Lindens letzter Frau und der Kleinen – dem Teufelsbraten, wie sie sie nennen – sagen kann. »Was ist denn mit deinem Gesicht los, Blondie? Du bist ganz rot.«
Ich berühre die zarte Haut unter meinen Augen und denke an meine Tränen. Dass ich geweint habe, scheint eine Million Jahre her zu sein.
»Ich bin allergisch gegen Meeresfrüchte«, rufe ich zurück und stopfe das feuchte Taschentuch in meine Tasche. »Der Gestank ist bis in die Frauenetage hochgezogen und hat meine Augen anschwellen lassen. Wollt ihr mich umbringen, oder was?«
»Sie hat darauf bestanden, persönlich nach unten zu kommen, um euch das zu sagen«, erklärt Gabriel freundlicherweise.
Während wir die Küche betreten, tue ich mein Bestes, angewidert zu erscheinen, doch
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