Totentöchter - Die dritte Generation
weicht meinem Blick aus. »Entschuldige mich.« Er will an mir vorbeigehen.
»Warte«, sage ich und werfe einen Blick über die Schulter, um sicherzugehen, dass die anderen, die draußen am Pool liegen oder herumplanschen, uns nicht beobachten.
Gabriel dreht sich zu mir um.
»Bist du wegen irgendwas böse auf mich?«, frage ich.
»Nein. Ich dachte nur nicht, dass du noch Zeit hast, mit einem Diener zu sprechen«, sagt er. Diese Düsternis in seinen sonst so freundlichen Augen gefällt mir nicht. »Jetzt, wo du die Frau von einem Hauswalter bist.«
»He, Moment mal …«, stammele ich.
»Da gibt es nichts zu erklären, Lady Rhine«, sagt er.
Genau genommen soll die Dienerschaft mich so ansprechen, aber ich glaube, ich habe nicht die richtige Ausstrahlung, diesen Titel zu tragen, denn im Haus bin ich nie etwas anderes gewesen als Rhine. Oder Blondie.
Allerdings hat Gabriel recht, seit Tagen habe ich mit niemandem sprechen können außer mit Linden und meinen Schwesterfrauen. Auf dem Küchentresen zu sitzen und mit den Köchen zu reden, fehlt mir – und mir fehlen die Gespräche mit Gabriel. Mir fehlen die Junibeeren, der Vorrat in meiner Schublade geht zur Neige. Aber dies sind nicht wirklich Dinge, die ich in der Gegenwart von Linden oder Hausprinzipal Vaughn ansprechen könnte, doch ich sehe Gabriel nicht mehr, ohne dass wenigstens einer der beiden in der Nähe ist.
»Was ist denn?«, frage ich. »Was habe ich gemacht?«
»Ich habe wohl einfach nicht damit gerechnet, dass du so leicht dem Hauswalter verfallen könntest«, sagt er.
Der Gedanke ist so absurd, dass ich auflache, und ich verschlucke mich an dem Wort: »Was?«
»Ich lebe im selben Haus, weißt du«, sagt er. »Ich bringe dir jeden Morgen das Frühstück.«
Er irrt sich, er irrt sich gewaltig. Und ich bin so beleidigt, dass ich alle Absichten, etwas richtigzustellen, in den Wind schlage. »Du hattest nicht erwartet, dass ich das Bett mit meinem eigenen Ehemann teile?«, frage ich.
»So ist es«, sagt er. Dann schiebt er die Glastür auf und tritt hinaus in den Sonnenschein, während ich tropfnass und mit klappernden Zähnen dastehe und mich frage, was zum Teufel dieser Ort aus mir gemacht hat.
Beim Abendessen bin ich still. Linden fragt mich, ob das Essen in Ordnung ist, und ich warte, bis Gabriel mir mein Mineralwasser eingeschenkt hat, bevor ich nicke. Eigentlich will ich Gabriel beiseiteziehen und mit ihm reden. Ich will ihm erklären, dass er sich irrt, was Linden und mich betrifft. Aber Hausprinzipal Vaughn sitzt mit
am Tisch und aufgrund seiner Gegenwart bleibe ich mit gesenktem Kopf sitzen.
Nach dem Essen begleitet Gabriel uns im Fahrstuhl zu unserer Etage. Ich versuche, seinen Blick aufzufangen, aber er scheint mir bewusst auszuweichen.
Cecily steht neben mir und reibt sich die Schläfen.
»Warum sind die Lichter so hell?«, sagt sie.
Die Türen öffnen sich. Jenna und ich treten auf den Flur hinaus, aber Cecily rührt sich nicht.
»Was hast du denn?«, frage ich.
Und da fällt mir auf, wie blass sie ist. Ihr Gesicht glänzt vor Schweiß.
»Ich fühle mich nicht gut«, sagt sie.
Sobald sie den Satz ausgesprochen hat, verdreht sie die Augen, und Gabriel kann sie gerade noch auffangen, als sie wie ein lebloses Häuflein zusammensackt.
Die Diener kommen in Scharen. Alle eilen sie rein und raus aus Cecilys Zimmer, es geht zu wie in einem Taubenschlag. Hausprinzipal Vaughn ist bei ihr und Linden läuft hinter ihm auf und ab. Jenna und ich werden in unsere Zimmer gescheucht. Ich sitze an meinem Frisiertisch und bin zu erschüttert und besorgt, um auch nur an Schlaf zu denken.
Hätte ich Linden sagen sollen, wie furchtbar sie am Morgen nach der Party ausgesehen hat? Er hätte auf mich gehört. Ich hätte ihn daran erinnern sollen, dass sie noch ein Kind ist. So etwas Offensichtliches macht er sich nicht klar. Ich hätte einschreiten müssen.
Blutet sie? Stirbt sie? Heute Nachmittag fehlte ihr noch nichts.
Ich presse mein Ohr an meine Tür und versuche mehr zu erlauschen als das unverständliche Gemurmel auf der anderen Seite des Korridors. Als die Tür aufgeht, falle ich beinah um.
Gabriel schaut ins Zimmer. »Tut mir leid. Ich wollte dich nicht erschrecken«, sagt er leise. Ich trete zurück, damit er hereinkommen kann, und er schließt die Tür hinter sich. Es ist ungewöhnlich, ihn ohne ein Tablett in meinem Zimmer zu sehen.
»Ich wollte nachsehen, ob es dir gut geht«, sagt er. In seinem Ton liegt nichts Bitteres. Seine
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