Totentöchter - Die dritte Generation
es wirklich geschafft, meine Liebe.«
Ich wärme mir die Hände, indem ich meinen Atem hineinblase, und beobachte, wie er mit einem perfekten Schlag einlocht.
»Was genau habe ich geschafft?«
»Du hast meinen Sohn von den Toten zurückgeholt.« Er nimmt mich in den Arm und küsst mich auf die
Schläfe, genau dorthin, wo Linden mich letzte Nacht geküsst hat. Doch während Lindens Lippen warm und seine Geste tröstlich war, lassen Vaughns Lippen mir Millionen von Insekten das Rückgrat hinunterkriechen. Vater und Sohn sehen sich auf so unheimliche Weise ähnlich und doch könnten zwei Menschen nicht unterschiedlicher sein. Aber ich bin eine gute Ehefrau und eine gute Schwiegertochter und ich werde rot. »Ich möchte nur, dass er glücklich ist«, sage ich.
»Das solltest du auch«, sagt Vaughn. »Mach diesen Jungen glücklich und du hast die ganze Welt am Gängelband.«
Gängelband ist hier das Stichwort.
Vaughn gewinnt die Partie, meine Punktzahl ist allerdings nicht viel schlechter. Ich habe ihn nicht gewinnen lassen. Das hat er allein geschafft.
»Du bist eine viel bessere Spielerin, als du zu sein behauptest«, sagt er lachend auf dem Weg zurück zum Haus. »Nicht so gut, dass du mich besiegen könntest. Aber gut.«
Ich halte überall nach dem Weg Ausschau, den die Limousine genommen hat, doch ich kann ihn nirgends entdecken.
Es ist offensichtlich, dass man mir nur in Vaughns Gesellschaft gestatten wird, mich draußen aufzuhalten. Und das nicht nur heute.
Ich mache mich auf die Suche nach Jenna, die mit angezogenen Beinen in meinem Lieblingssessel sitzt. Die Nase hat sie in ein Taschenbuch mit einem jungen, halb nackten Liebespaar auf dem Titelbild gesteckt; der Mann rettet die Frau vor dem Ertrinken.
»Ich habe Gabriel nicht gesehen«, sagt sie, bevor ich den Mund aufmachen kann.
»Findest du das nicht merkwürdig?«, frage ich und setze mich auf den Sessel neben ihr.
Sie presst die Lippen aufeinander und guckt mich über den Rand ihres Buches hinweg an. Dann nickt sie mitfühlend. Sie ist nicht der Typ, der Dinge schönredet.
Ich frage: »Ist das Mittagessen schon gebracht worden?«
»Nein.«
»Vielleicht sehen wir ihn da.« Gabriel ist der Einzige, der Mahlzeiten auf unserer Etage serviert, es sei denn, Cecily bekommt einen Wutanfall, der es erforderlich macht, dass mehr als ein Diener sie umsorgt.
Aber wir bekommen ihn nicht zu Gesicht. Ein Diener, den wir noch nie gesehen haben – ein Erstgenerationer –, bringt uns das Mittagessen und er kommt nicht mal auf den Gedanken, uns in der Bibliothek zu suchen. Er muss Cecily fragen, wo wir sind, und sie hat so schlechte Laune, als sie aus ihrem Nickerchen geweckt wird, dass wir über den ganzen Flur hören können, wie sie den armen Mann anschreit.
Jenna und ich tauchen in ihrer Tür auf und ich sage: »Beruhigst du dich bitte?« Der Diener hat anscheinend Angst vor diesem schwangeren Kugelblitz von Mädchen. Doch ich sehe nur die dunklen Ringe unter ihren Augen und die lila geschwollenen Füße, die auf Kissen ruhen. »Du wirst dem Baby noch schaden, wenn du dich so aufregst.«
»Mach mir keine Vorwürfe«, knurrt sie und fuchtelt wild in Richtung des Dieners. »Mach ihm Vorwürfe, weil er so unfähig ist.«
»Cecily …«, fange ich an.
»Nein, sie hat recht«, sagt Jenna. Sie hat die Haube von einem der Teller gehoben und verzieht das Gesicht. »Das sieht widerlich aus. Was soll das sein? Schweinefutter?«
Schockiert schaue ich sie an und sie sieht mir direkt in die Augen. »Ich finde, du solltest in die Küche hinuntergehen und dich beschweren.«
Oh.
»Tut mir leid, Lady Jenna …«, beginnt der Diener.
»Du brauchst dich nicht zu entschuldigen«, unterbreche ich ihn. »Das ist nicht deine Schuld. Die Chefköchin sollte auf diese Dinge achten. Sie weiß, dass wir alle Kartoffelbrei nicht ausstehen können.« Ich hebe noch einen Deckel hoch und rümpfe die Nase. »Und Schweinefleisch. Schon vom Geruch bekommt Jenna Ausschlag. Das Beste wird sein, ich gehe runter und kläre das.«
»Ja, selbstverständlich«, sagt der Diener. Ich glaube, er zittert ein bisschen, als er den Wagen mit unseren Tabletts wieder zum Fahrstuhl schiebt. Ich folge ihm.
»Mach dir nichts draus«, sage ich und lächele ihm aufmunternd zu, sobald sich die Fahrstuhltüren hinter uns geschlossen haben. »Es geht nicht gegen dich. Wirklich nicht.«
Er lächelt zurück und wirft mir immer wieder flüchtige Blicke zu, wenn er nicht gerade auf seine Schuhe
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