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Totentrickser: Roman (German Edition)

Totentrickser: Roman (German Edition)

Titel: Totentrickser: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Oldenburg
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nichts anderes übrig bleibt, als sich fast ausschließlich von der Zuckerwolle zu ernähren, die sie bei der Arbeit heimlich mitgehen lassen.
    Ganz zu schweigen von der ökologischen Katastrophe: Dort, wo sich einst artenreiche, sauerstoffproduzierende Dschungel erstreckten, breitet sich jetzt eine gleichförmige Rosa-Ödnis bis zum Horizont aus.
    Das alles ist kein bisschen zum Lachen. ]
    Jetzt schlenderte der Barbarenoger mit einem glücklichen Grinsen über den Platz, die schreiend pinkfarbene Drachentrophäe unter den Arm geklemmt.
    Um seinen Hals hing ein Gewürzkuchenherz mit der Aufschrift »Meinem allerliebsten Schnuckiputzi« , und seine Wange zierte ein breiter Lippenstift-Kussmund – mutmaßlich stammte dieser von der- oder demjenigen (nichts Genaues weiß man nicht), der (oder dem) er auch das Gebäckherz mit der romantischen Zuckerguss-Botschaft verdankte.
    Neugierig blieb er bei einem großen hölzernen Aufbau stehen und las das Schild vor dem Eingang.
    Das Labyrinth der Spiegel
Tritt ein, und begegne dir selbst!
Nur 50 Kopeken!
    Sich selbst begegnen, dachte Bolgur. Das hörte sich überaus spannend an, bewusstseinserweiternd und irgendwie groovy.
    Er bezahlte an der Kasse und betrat das Labyrinth.
    Samtene Dunkelheit hüllte ihn ein und die äußere Welt, eben noch ein Feuerwerk aus Licht und Klang, verwandelte sich in die innere und zog sich ganz in seine Seele zurück, wie ein Einsiedlerkrebs in sein Gehäuse.
    Phantastisch, dachte Bolgur. Der Selbstfindungstrip war also schon in vollem Gange.
    Zwei Sekunden später knallte er mit der Stirn gegen einen niedrigen Balken und sah Sterne, was ihn vermutlich auch auf irgendeine tiefsinnige, innere Wahrheit aufmerksam machen sollte.
    Während er die Beule an seinem Schädel betastete und sich noch fragte, welche Lehren aus dieser Lektion zu ziehen waren, erfüllte mehr und mehr ein sanfter Schein das Labyrinth.
    Formen und Umrisse entwickelten sich aus der Finsternis, und langsam wurden deutliche Gestalten erkennbar.
    Bolgur blieb stehen und blickte sich staunend um. Auf allen Seiten sah er in ein und dasselbe Gesicht.
    Es gehörte einem riesigen Barbarenoger, der einen pinkfarbenen Stoffdrachen unter dem Arm hielt und ein Gewürzkuchenherz « um den Hals trug. Was die spiegelverkehrte Aufschrift des Herzens anging, war er sich nicht ganz sicher, aber möglicherweise kam das Wort Schnuckiputzi darin vor.
    Bolgurs Augen weiteten sich, als ihm Erleuchtung zuteil wurde und er eine weitere Stufe auf dem Weg zum Gipfel der Weisheit erklomm.
    Die Welt bildete mit ihrer Vielheit eine Einheit, das hatte er bereits begriffen, doch nun ging ihm auch der Umkehrschluss auf: Jedes Einzelne war auch eine Vielheit, er selbst war nicht bloß Eines, sondern eine Vielzahl von Einheiten.
    So fächerte sich das Universum in beide Richtungen zur Unendlichkeit auf: Vieles war Eines, Eines wieder Vieles, Vieles Eines und so weiter und so fort, ein ewiger Kreislauf der Beziehungen, Kongruenzen und Transmutationen.
    »Wow«, murmelte Bolgur träumerisch. »Das ist ja wohl der absolute Wahnsinn, Mann, absoluter Wahnsinn …«
    Er hob die Hand und winkte seinen Spiegel-Ichs lächelnd zu.
    Sie winkten zurück.
    Bis auf eines.
    Stattdessen schwang es eine Keule.
    »Bolgur ein Mädchen ist«, sagte es.
    Ein Wichteljunge bewegte sich auf leisen Sohlen durch das stille Kirchenschiff der Luhm-Kathedrale von Verderbnis.
    Ein zufälliger und nicht sonderlich aufmerksamer Beobachter hätte diese friedlich wirkende Szene vielleicht sehr anrührend gefunden und den Jungen für einen Chorknaben gehalten, der zu später Stunde noch einmal zurückgekehrt war, um sein liegen gelassenes Notenbüchlein zu holen.
    Doch die Hand dieses Chorknaben umklammerte das Heft eines langen Dolchs, während er einer unregelmäßigen Spur aus dunklen Tropfen auf dem Boden folgte.
    Dunklen, roten Tropfen.
    Sie führte ihn zu einem der Beichtstühle, denen die Bürger von Verderbnis im Lauf der Zeit bereits eine ausreichende Anzahl geflüsterter Berichte ihrer Schandtaten anvertraut hatten, um die eine oder andere Sündflut vollauf gerechtfertigt erscheinen zu lassen.
    Der Wichtelknabe blieb stehen und lauschte.
    Leise Atemzüge kamen aus dem Beichtstuhl.
    Langsam näherte der Junge seine Hand dem Türknauf.
    Als sich die Tür öffnete, hatte Falfnin den Eindruck, in einen Spiegel zu blicken, in einen Spiegel, der ihn an einen weit entfernten Zeitpunkt zurückbrachte.
    Er glaubte sich selbst zu sehen, so, wie

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