Totentrickser: Roman (German Edition)
Kettenhemd.
Nur ein winziges Detail fehlte.
»Brom!«, rief Selphyne, die schon seit einiger Zeit mit Nenia und den anderen beim Frühstück saß. »Würdest du dir bitte eine Hose anziehen!«
»Ich würde schon«, erwiderte Brom und setzte sich an den Tisch. »Wenn ich eine hätte. Falfnin hat sie mir gestern abgeknöpft, der alte Trickbetrüger.«
»Ich bin sicher, er leiht sie dir so lange, bis du einen Ersatz auftreibst«, sagte Selphyne mit einem strengen Seitenblick auf Falfnin.
»Kein Problem«, versetzte Falfnin. »Damit schuldest du mir dreiundvierzig Millionen siebenhunderteinunddreißig Tausend sechshundertvierunddreißig Goldstücke, vier Wochen Küchendienst und eine Hose, Brom.«
»Der Verlust der Hose schmerzt mich eindeutig am wenigsten«, erklärte Brom, rutschte auf seinem Stuhl hin und her und ließ seine unbehosten Beine baumeln. »Ich könnte mich durchaus an dieses neue Gefühl von Freiheit und Unbeschwertheit gewöhnen.«
Nach dem Frühstück besichtigten sie mit Arsenio das Sanatorium.
»Das ist die Galerie ehemaliger Patienten«, sagte der Nachtelf und wies auf eine Reihe von Gemälden, die Portraits von Personen zeigten, die augenscheinlich aus den höheren Gesellschaftsschichten stammten.
»Wir durften bereits zahlreiche hochrangige und prominente Persönlichkeiten in unserer Einrichtung beherbergen und haben, wie ich in aller Bescheidenheit hinzufüge, den meisten von ihnen auch bei der Wiederherstellung ihres seelischen Gleichgewichts helfen können. Dies etwa«, er deutete auf das Portrait einer jungen Zwergin, »ist die Gräfin von Erzschacht. Ihre Eltern schickten sie zu uns, weil sie an nervösen Zwangsvorstellungen litt. Sie hielt es für eine furchtbare Ungerechtigkeit, dass ihre Familie in Gold schwimmt, während den armen Minenarbeitern, denen sie den ganzen Reichtum verdankt, kaum genug bleibt, um nicht zu verhungern. Wir konnten sie von diesem Wahn kurieren, und mittlerweile ist sie eine der angesehendsten Ausbeuterinnen des Landes. Und das dort ist der Baron von Hutzelfingen. Er hielt sich jahrelang für ein Meerschweinchen, was sich negativ auf seine staatsmännischen Fähigkeiten auszuwirken begann. Um genau zu sein, hält er sich immer noch für ein Meerschweinchen, aber wir konnten ihn davon überzeugen, dass er ein gewinnend lächelndes, fröhlich winkendes Meerschweinchen ist. Seitdem wird er seinen Aufgaben als Politiker wieder voll und ganz gerecht.«
»Der da kommt mir bekannt vor«, meinte Brom.
»Das ist der junge Fürst von Holdernich. Er hatte… ein gewisses Problem mit Frauen.«
»War er schüchtern?«, fragte Selphyne.
»Das kann man so nicht sagen. Er hatte die Angewohnheit, morgens neben Frauen aufzuwachen, die in der Nacht zuvor grausam ermordet worden waren.«
»Das ist ja furchtbar!«
»Ja, der arme Fürst war auch überaus verzweifelt. Bei Bekanntwerden hätte ein solcher Skandal verheerende Folgen für seine Karriere am Hof des Königs haben können. Wir konnten sein Frauenproblem zwar nicht gänzlich beseitigen, ihn aber dazu bringen, sich mehr auf, ähem, Partnerinnen zu beschränken, deren Verschwinden gesellschaftlich für keinen ganz so großen Wirbel sorgt.«
»Ihr müsst ja ganz schön Geld gescheffelt haben, mit all den reichen Psychopathen, die sich hier ins Gästebuch eingetragen haben«, meinte Brom. »Trotzdem sieht der Kasten ziemlich vergammelt aus.«
Arsenio zog ein missmutiges Gesicht.
»In der letzten Zeit haben die wohlhabenden Kreise unsere Einrichtung ein wenig gemieden«, sagte er.
»Wieso das?«, fragte Falfnin.
»Es hat da einen gewissen Vorfall gegeben…«
»Vorfall?«
»Wir reden nicht gerne darüber. Kommen Sie, ich zeige Ihnen jetzt den Park.«
Das Unwetter von gestern war vorübergezogen, die Strahlen der Morgensonne ließen die an den Zweigen hängenden Tropfen golden funkeln.
»Im Sanatoriumspark können sich die Patienten an der frischen Luft ergehen und am Anblick sorgfältig gepflegter Natur erbauen.«
Tatsächlich machte der Park keinen besonders gepflegten Eindruck, sondern wirkte wie auch das Sanatoriumsgebäude eher verwahrlost und verwildert.
»Und sie können von ihren bestialischen Schandtaten entspannen«, murmelte Selphyne.
»Oh, wir beherbergen hier nicht nur Mörder und Sadisten«, versetzte Arsenio. »Auch viele schöngeistige Naturen finden ihren Weg zu uns, sensible Künstler, die an der Unerbittlichkeit der Welt verzweifeln. Kommen Sie, ich stelle Ihnen jemanden aus dieser Gruppe
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