Totentrickser: Roman (German Edition)
vor.«
Arsenio schritt auf einen Wichtel zu, der einen Verband um den Kopf trug und mit Pinsel und Farbpalette vor einer Leinwand saß.
»Guten Morgen, Winzenz! Was macht das Ohr?«
Der Wichtel drehte sich um. Er hatte eine blaue Mütze mit Fellbesatz auf dem Kopf und einen roten Stoppelbart.
»Ach«, sagte er gequält. »Es geht.«
»Was ist mit deinem Ohr passiert?«, erkundigte sich Falfnin.
»Ein … Unfall beim Rasieren«, murmelte Winzenz, zu Boden blickend.
»Er hat es sich selbst abgeschnitten«, flüsterte Arsenio. »In einem Anfall von künstlerischer Verzweiflung und aus unerwiderter Liebe.«
»Wie schrecklich!«, hauchte Selphyne.
»Wenn du das Ohr aufgehoben hast, kann Falfnin vielleicht mit seinem chirurgischen Notfallset helfen«, sagte Bolgur. »Meins hat er schon ganz oft wieder angenäht.«
»Ich habe es nicht mehr«, murmelte Winzenz. »Ich habe es meiner Geliebten geschickt.«
»Und was hat sie damit gemacht?«
»Sie hat es weggeworfen.«
»Wie kann man nur so herzlos sein!«, rief Selphyne.
»Es gibt genau zwei Arten von Leuten, hat Tante Brunhilda immer gesagt«, bemerkte Brom. »Die Herzlosen und die Ohrlosen.«
»Reden wir doch lieber von etwas anderem. Wie geht es mit dem Gemälde voran?«, wechselte Arsenio das Thema.
Winzenz seufzte.
»Die Wirbel! Ich bekomme die Wirbel einfach nicht richtig hin!«
Brom stellte sich mit Kennermiene vor das Gemälde und rieb sich das Kinn.
»Ja«, urteilte er, »schon ganz nett. Aber ein richtiger Himmel sieht natürlich ganz anders aus. Wie heißt das Bild denn?«
»Ich weiß noch nicht«, sagte Winzenz unsicher. »Bisher nenne ich es Verwirbelte Sternennacht in Irgendwind mit Dorf und Zypresse. «
»Ich glaub nicht, dass sich so was verkauft«, schätzte Brom. »Die Leute wollen mehr … Dings, na sach schon …« Er gestikulierte, nach dem richtigen Wort suchend.
»Kubismus?«, mutmaßte Bolgur.
»Nein, das andere. Wenn alles wie in echt aussieht.«
»Realismus?«
»Genau. Realismus. Und es muss fetzen!«
»Fetzen?«, fragte Winzenz eingeschüchtert.
»Ja! Weißt du, was stark wäre? Ein Drache! Drachen gehen immer. Und auf dem Drachen reitet eine Zwergenkriegerin mit enormen … enormen …«
»Hupen?«, warf Bolgur ein.
»Genau: Hupen. Eine streitaxtschwingende Zwergenkriegerin mit enormen Hupen. Und der Drache speit Feuer. Und im Hintergrund sieht man einen riesigen Vollmond. Das wäre ein Gemälde!«
»Und die Wirbel?«, fragte Winzenz kleinlaut.
»Vergiss die Wirbel!«, rief Brom. »Das Zeitalter der Wirbelmalerei ist passeh ! Streitaxtschwingenden, auf Drachen reitenden Zwergenkriegerinnen mit enormen Hupen gehört die Zukunft!«
»So ein Schwachsinn!«, empörte sich Selphyne. »Hör nicht auf ihn! Er hat keine Ahnung von Kunst. Ich finde deinen Stil großartig. Die zugleich kraftvolle, fast ungestüme und doch so feinsinnige Pinselführung, die tiefgründige, zwischen Impressionismus und Expressionismus ambivalent oszillierende Psychologie: Man ahnt eine große, von Widersprüchen heroisch zerrissene wahre Künstlerseele.«
»Hm …«
Unsicher betrachtete Winzenz sein Gemälde. Er sah Selphyne an, er sah Brom an.
»Bleib dir selbst treu«, sagte Selphyne.
»Streitaxtschwingende, auf Drachen reitende Zwergenkriegerinnen mit enormen Hupen«, sagte Brom prophetisch. »Vertrau mir.«
[Kleiner Sprung, hundertfünfzig Jahre in die Zukunft.]
Eine Auktion.
»Kommen wir nunmehr zu Posten 115a: Streitaxtschwingende, auf einem Drachen reitende Zwergenkriegerin mit enormen Hupen des Künstlers Winzenz von Och. Dieses Gemälde ist eines der ersten aus der neuen Schaffensphase, in der von Och endlich zu seinem eigenen Stil fand. Wir versteigern es zusammen mit Nr. 115b: Selbstportrait des Künstlers nach seinem internationalen Durchbuch, in der Liebesgrotte seines fürstlichen Anwesens, umgeben von Groupies mit phänomenalen Möpsen. Das Mindestgebot liegt bei zehn Millionen. Sehe ich elf Millionen? Zwölf? Fünfzehn. Achtzehn! Höre ich zwanzig? Dreiundzwanzig. Siebenundzwanzig! Siebenundzwanzig zum Ersten … Dreißig Millionen! Fünfunddreißig!…«
Sie wandten die Köpfe, als Nenias helles, ausnahmsweise einmal nicht boshaftes Lachen erklang.
Die kleine Nachtelfe saß auf dem Rücken eines Anstaltsinsassen, der in eine schwarze Kutte gekleidet war und auf allen vieren über den Boden kroch.
Sie lachte ausgelassen und schwenkte ihren schwarzen Schirm, mit dem sie ihre blasse Nachtelfenhaut vor den
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