Totentrickser: Roman (German Edition)
Reich«, sagte der Anstaltsleiter. »Kommen Sie.«
Sie folgten ihm in den Keller, in dem es nach Moder und Alchemie roch.
Arsenio führte sie in ein großes Gewölbe, zwischen langen Regalen hindurch, auf denen mit Spiritus gefüllte Einmachgläser standen.
»Das ist meine kleine Privatsammlung«, erklärte er. »Andere Leute besitzen einen Weinkeller, ich dagegen habe …«
»Einen Gehirnkeller?«, fragte Selphyne angeekelt.
Bleiche, schwammige Gehirne schwebten in den Gläsern.
»Es sind nicht irgendwelche Gehirne, sondern nur solche von ausgewählten Bösewichten. Es hat Jahrzehnte gedauert, sie alle zusammenzutragen. Gute Kontakte zu Henkern und Totengräbern sind unerlässlich, wenn man eine derartige Sammlung anzulegen beabsichtigt.«
»Und ein gehöriger Sprung in der Schüssel«, murmelte Selphyne schaudernd.
»Schon als junger Nervenarzt hat das Böse eine außerordentliche Faszination auf mich ausgeübt«, fuhr Arsenio fort. »Alles ist sorgfältig beschriftet und nach Art und Intensität der Boshaftigkeit sortiert. Hier ist die Abteilung der Serienmörder. Je mehr Morde, desto höher die Position im Regal. Dort stehen die Kannibalen. Sagen Sie nichts, ich weiß genau, was Sie jetzt einwenden möchten: Ist Kannibalismus nicht einfach nur ein Subgenre des Serienmords?«
»Exakt diese Frage lag mir auf der Zunge …«, bemerkte Falfnin.
»Und es ist eine berechtigte Frage. Denn man stößt nur allzu bald auf Probleme der Systematisierung. Wo zum Beispiel verläuft genau die Grenze zwischen Serien- und Massenmord? Gibt es einen wirklich eindeutigen Unterschied zwischen einem privaten Auftragskiller und einem staatlich angestellten Henker? Aber es hört nicht bei der Systematisierung auf, schnell gelangt man ins Moralische: Ist ein religiöser Ritualmord böse, wenn derjenige, der ihn ausführt, fest daran glaubt, im Dienste des Guten zu handeln? Ist ein Richter, der in der Meinung, das Richtige zu tun, tausend Todesurteile unterschreibt, ein Mörder? Oder der Henker, der sie vollstreckt? Oder Beide? Keiner von Beiden? Einer mehr als der andere? Hat die Gesellschaft Schuld? Ist sie der eigentliche Mörder? Hat überhaupt jemand Schuld? Gibt es das Böse vielleicht gar nicht? Fragen über Fragen.«
»Auf die niemand eine Antwort weiß«, sagte Brom unbestimmt.
»O doch, ich kenne die Antwort!«, versetzte Arsenio triumphierend. »Ich weiß, dass es das Böse gibt. Denn ich habe es gesehen, mit eigenen Augen. Es ist schwarz wie die Nacht und zähflüssig wie heißer Teer.«
»Ihre Gehirnsäftetheorie«, warf Selphyne ein.
»Meine Gehirnsäftetheorie. Und jetzt kommt’s: Ob wir jemanden böse nennen oder nicht, muss nicht das Geringste mit der Saftmischung in seinem Gehirn zu tun haben. Oft liegen wir intuitiv richtig, wie etwa bei Botho, dem Buttermesserschlitzer. Sein Gehirn produziert wirklich überdurchschnittliche Mengen der schwarzen Bosheitssubstanz. Das macht die Behandlung leicht: regelmäßig abzapfen, und er bleibt ein netter, verträglicher Kerl. Aber es gibt andere Fälle. Hier zum Beispiel. Das ist das Gehirn von Zyrwa, der Näherin. Sie hat Hunderte nur aus Spaß grausam zu Tode gefoltert. Doch kann man sie deswegen als böse bezeichnen?«
»Ähm … ja ?«, sagte Selphyne finster.
»Sollte man meinen, nicht wahr? Halten Sie sich fest: Ich habe ihr Gehirn sorgfältig untersucht. Verschwindend geringe Mengen des schwarzen Bosheitssaftes. Dafür abnorm viel Gute-Laune-Orange. Sie war einfache eine echte Frohnatur – und Foltern ihr schönstes Hobby.«
»Das ist ja abstoßend.«
»Das ist Wissenschaft! Leider bedeutet es aber auch, dass meine Gehirnsäftetheorie sich nicht ganz so leicht für praktische Zwecke auswerten lässt, wie anfangs gedacht. Was ich vor allem brauche, ist Geld, um meine Forschungen weiterhin betreiben zu können. Kommen Sie, ich zeige Ihnen jetzt etwas, das Sie ebenfalls begeistern wird.«
»Was, noch mehr als die Sammlung erlesener Psychopathenhirne?«, murmelte Selphyne. »Unmöglich.«
Im nächsten Raum stank es nach Tieren, Kot und Blut.
In Dutzenden von Käfigen vegetierten Ratten, Katzen, Äffchen und andere Tiere, den meisten von ihnen steckten eiserne Röhrchen und Schläuche in den Schädeln.
»Komm mit, Nenia«, sagte Selphyne »Wir gehen lieber wieder nach oben, das hier ist nichts für dich.«
»Oh, aber ganz im Gegenteil!«, rief Arsenio. »Man kann die Erhabenheit des Strebens nach Erkenntnis gar nicht früh genug erfahren! Wenn du bei
Weitere Kostenlose Bücher