Totentrickser: Roman (German Edition)
Schiffsgefecht in den Lüften unterscheidet sich im Prinzip nicht wesentlich von einem auf hoher See.
Es beginnt damit, dass die Gegner aus der Distanz mit ihren Geschützen aufeinander feuern, wobei es bekannterweise darauf ankommt, selbst so viel Schaden als möglich auszuteilen und so wenig wie es geht einzustecken.
Ein Volltreffer hat hier unmittelbar schwerwiegendere Folgen als auf dem Meer, denn während einerseits viele Seeleute nicht des Schwimmens mächtig sind, verfügen andererseits nur die wenigsten Luftschiffer über die Fähigkeit, aus eigener Kraft fliegen zu können.
Wenn sich die Kontrahenten gegenseitig genug beschossen haben, folgt die Phase des Enterns.
Trollpiraten mit Oberarmen so dick wie Baumstämme schleudern die schweren Enterhaken über Entfernungen von bis zu sechzig Metern auf das fremde Schiff, um es dann unter den Anfeuerungen ihres Käpt’ns in Reichweite heranzuziehen.
»Zieht, ihr räudigen Söhne des verfluchten Höllenwinds«, schrie Rongar Zweibein, seine Hakenhand in die Höhe reckend, »zieht für Gold und Juwelen, zieht für blutigen Kampf und eine Extraportion Rum aus den Schädeln der Besiegten!«
Flink wie die Lemuren klettern narbengesichtige Lufträuberwichtel in die Wanten, den Dolch zwischen den Zähnen, nur darauf wartend, sich von oben auf die gegnerische Besatzung zu stürzen.
(Typischer Anfängerfehler: Beim Sprung den Dolch im Mund zu behalten. Wer diesen Fauxpas einmal begangen hat, weiß, warum es empfehlenswert ist, etwaige Schneidewerkzeuge bei akrobatischen Übungen nicht in Zungennähe aufzubewahren – alte Luftpiratenhaudegen wie »Der Geschwätzige Jean« oder »Errol, das Sprachgenie« könnten ein Liedchen davon singen, wenn sie des Singens noch mächtig wären.)
Ein guter Zeitpunkt, die eigene Strategie noch einmal zu überdenken, ist es, wenn man bemerkt, dass an der Reling des anderen Schiffes ein Zwergenkrieger namens Brom »Die Axt« Stahlbart steht und mordlüstern in die Rufe des Käpt’ns einstimmt: »Na los, jetzt zieht schon, ihr faulen Luftpiratenmaden! Zieht für eine Extraportion Rum und für den Blutdurst meiner Streitaxt!«
Aber das wusste Kapitän Rongar Zweibein noch nicht.
Im Kasino war es still geworden, allein der Kampfeslärm, der gedämpft von oben hereindrang, war zu hören.
Spielkarten und Würfel lagen auf den Tischen herum, Champagnergläser waren umgekippt, Stühle umgeworfen worden, als die Passagiere bei der ersten Kanonensalve hastig zu ihren Kabinen gelaufen waren, um ihre Wertsachen in Sicherheit zu bringen.
Nur eine junge Frau war einsam zurückgeblieben – eine junge Frau und ein junger Mann, der ihr nun aus einer dunklen Ecke des Raumes entgegentrat.
»Ihr seid noch immer hier«, sagte er lächelnd.
»Ja«, antwortete sie unsicher. »Aber vielleicht sollte ich besser … Wenn meine Mutter wüsste, dass ich …«
»Es gibt Dinge, die brauchen Eltern nicht zu wissen«, sagte er und nahm ihre Hand, um einen Kuss darauf zu hauchen. »Gestattet, dass ich mich vorstelle: Ich heiße Falfnin, und mein ehrbares Gewerbe ist es, meinen Besitz zu mehren, indem ich den anderer Leute verringere.«
»Dann seid Ihr ein Spekulant? Mein Oheim, Graf Goldsee, hat große Summen verdient, indem er auf den Bankrott ganzer Staaten setzte.«
Falfnin lachte.
»Eigentlich wollte ich damit auf poetische Weise zum Ausdruck bringen, dass ich ein Meisterdieb bin.«
»Oh«, sagte Antoinette von Edelheim. »Natürlich.«
»Es gibt kein Schloss, das ich nicht öffnen, keine Mauer, die ich nicht erklettern und keinen noch so gut behüteten Schatz, den ich nicht rauben könnte. Mein Meisterstück war es, den Tausendäugigen Wächtern von Forkun die Schnürsenkel zu stehlen, im hellen Sonnenlicht und mit auf den Rücken gefesselten Händen.«
»Und … Herzen stehlt Ihr auch, nehme ich an?«, fragte sie leise.
Er schnippte mit den Fingern und hatte plötzlich die Herz-Dame in der Hand.
»Eher wird das meinige mir selbst entführt. Gerade jetzt ist es in eine Gefangenschaft geraten, aus der es womöglich nie wieder befreit werden wird.«
»Und wer sollte Euer armes Herz in so feste Bande legen?«
»Zwei Augen, so tief und blau wie das Meer der Ewigkeit.«
»Ihr seid überaus galant«, flüsterte sie.
Sie waren sich so nahe gekommen, dass ihre Lippen sich fast berührten.
»Aber wir haben die Piraten ganz vergessen!«, rief sie plötzlich erschrocken. »Werden sie uns nicht alle töten oder in die Sklaverei
Weitere Kostenlose Bücher