Totentrickser: Roman (German Edition)
Speisesaal den schüchtern-schmachtenden Blick ihrer großen blauen Augen nicht von dem Meisterdieb hatte losreißen können.
Der verwegen und geheimnisvoll wirkende Abenteurer schien einem der sentimentalen Romane entsprungen zu sein, die sie so gern las, wenn sie nicht gerade Klavier- oder Benimm-dich-Unterricht nahm oder sich anderweitig auf ihre Ehe mit einem standesgemäßen Gatten vorbereitete, den ihre Eltern für sie aussuchen würden.
»Ich weiß nicht«, hauchte sie errötend, »außerdem habe ich auch kein Geld bei mir …«
»Oh, ich bin sicher, dass sich die anwesenden Herren um den Vorzug reißen werden, Ihnen aus dieser Verlegenheit zu helfen«, lächelte Falfnin.
Die anwesenden Herren rissen sich tatsächlich um diesen Vorzug, und so stand der Baroness bereits nach kurzer Zeit eine beträchtliche Summe zur Verfügung.
»Die Dame gewinnt!«, erklärte Falfnin, drehte die Karten um und schob sie diesmal merklich langsamer über den Tisch. »Machen Sie ihr Spiel, schönes Fräulein.«
Nachdenklich legte Antoinette einen Finger an den Mund.
»Die ist es!«, rief sie endlich, auf die mittlere Karte tippend.
»Die mittlere, sagen Sie!«
Falfnin legte seine Hand auf die von ihr bezeichnete Karte, und nur ein Falschspieler von Weltrang hätte erkennen können, wie er sie blitzschnell mit der rechts daneben liegenden vertauschte.
Er deckte die Karten auf. In der Mitte lag die Herzdame.
»Und damit haben Sie recht! Die Dame gewinnt!«
Antoinette stieß ein freudiges Jauchzen aus, erinnerte sich jedoch rechtzeitig ihres Standes und verbarg ihr strahlendes Lächeln hinter ihrem Fächer.
Das Publikum applaudierte.
»Ein wahrer Sieg der Schönheit!«, schmeichelte Falfnin und schob der Baroness ihren Gewinn über den Tisch zu. »Wie Sie sich soeben überzeugen konnten, meine Damen und Herren, bestehen ganz reelle Gewinnchancen. Treten Sie also näher und versuchen Sie Ihr Glück! Wer will es als Nächster probieren? Der Herr mit der bemerkenswerten Nase vielleicht?«
Wahrscheinlich muss nicht eigens darauf hingewiesen werden, dass weder der Herr mit der bemerkenswerten Nase noch einer der folgenden Kandidaten einen weiteren Sieg der Schönheit zu erringen vermochte.
Zink, der Gott des nicht ganz regulären Kartenspiels, hatte dagegen einen echten Lauf.
Der allerdings abrupt beendet zu werden drohte, als plötzlich zwei massige Oger neben Falfnin aufragten.
»Schiffssicherheit«, sagte der eine. »Wir würden uns gerne ein wenig mit dir unterhalten«.
»An einem ruhigen Ort«, grunzte der andere.
»Das, ähm, kommt mir grad ein bisschen ungelegen«, erwiderte Falfnin, heimlich die in seinem Ärmel verborgenen Dolche in Position bringend. »Ich stecke mitten in einem Spiel …«
»Deswegen wollen wir uns ja mit dir unterhalten.«
»Deine Gewinnquote ist verdächtig hoch.«
»Ich hab heut eben einfach Glück.«
»Ein bisschen mehr Glück, als gesund ist.«
»Also, kommst du jetzt freiwillig mit, oder müssen wir nachhelfen?«
»Wenn das so ist …« Falfnin fingerte an seinen Ärmeln. »Ich bin untröstlich, meine Damen und Herren, aber diese beiden freundlichen Gentlemen hier bestehen darauf, mich Ihnen zu entführen, um einige zweifellos äußerst wichtige Dinge mit mir zu besprechen. Gehen Sie nicht fort, holen Sie sich noch einen Drink an der Bar, ich werde in Kürze wieder am Spieltisch zu Ihrer Verfügung stehen.«
»Darauf würde ich nicht wetten«, knurrte einer der beiden Oger.
»Bitte, nach Ihnen«, sagte Falfnin und erhob sich.
»Von wegen! Du gehst voran.«
»Wie Sie wünschen. Ich wollte nur höflich sein. Aber Höflichkeit …«
Bevor die beiden Sicherheitsoger auch nur Zeit bekamen, überrascht aus der Wäsche zu blicken, sprang der Meisterdieb mit einem plötzlichen Rückwärtssalto auf den Tisch.
»… Höflichkeit scheint ja hier nicht besonders geschätzt zu werden«, beendete er den Satz.
Den Kopf des Fürsten von Holdernich als Trittstufe zweckentfremdend – dabei verrutschte die Perücke des alten Aristokraten ein wenig – schwang sich Falfnin zu einem der großen Leuchter auf, die von der Decke herabhingen, und kletterte daran empor.
Die Baroness Antoinette von Edelheim richtete ihre großen blauen Augen bewundernd zu ihm auf. Hätte ihre Mutter nicht neben ihr gestanden, sie hätte vermutlich laut geseufzt: Was für ein Mann!
»So leicht fängt man einen Wichtelmeisterdieb nicht!«, spottete Falfnin, sich mit einer Hand an der Kette des Leuchters
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