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Totenverse (German Edition)

Totenverse (German Edition)

Titel: Totenverse (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoë Ferraris
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mehr entdeckte er: Datteln und Nüsse, in Zucker gewälzt und in Honig getaucht, glasierte Beignets, geduldig aufgereiht, Sorbetts, die niemals schmolzen. Nayir saß völlig ausgehungert auf dem Steinboden und schlang all die Süßigkeiten in sich hinein, während Puderzucker über ihn hinwegwehte wie Schnee. Er aß und aß und aß, bis ihm schlecht wurde, und dann ging er in eine Ecke und erbrach sich.
    Man musste nicht so intelligent sein wie Niels Bohr, um die Bedeutung dieses seltsamen Traums zu ergründen: Er war in ernster Gefahr, seinen Gelüsten zu erliegen. Die Antwort war Nein.

6
     
    Miriam saß an die Wand gelehnt auf einer Bank, die Füße hochgezogen, die Arme um die Knie geschlungen. Die Luft im Flughafen war kalt, und jetzt zitterte sie und hatte Angst und hasste sich selbst dafür. Sie hatte keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen war. Eine Stunde, zwei Stunden? Sie hatte zigmal versucht, Eric auf seinem Handy zu erreichen, aber vergeblich. Sie konnte keine Nachbarn oder Freunde anrufen. Eric war der Einzige, der ihr die Erlaubnis verschaffen konnte, ins Land einzureisen.
    Die anderen Frauen hatten den Raum mittlerweile verlassen, und danach war nur noch ein Flughafenarbeiter hereingekommen. Er hatte ihr eine Flasche Wasser gebracht und gefragt, ob sie irgendwas brauche. Tampons , hätte sie am liebsten geantwortet. Eine Schweinehälfte und eine Flasche Wein . Aber sie hatte Nein gesagt und erneut die Wände angestarrt.
    Jetzt fragte sie sich, was schlimmer war: die Angst um Eric oder die Angst um sich selbst. Sie fühlte sich wieder wie ein Kind, und dieses Gefühl hasste sie am meisten. Alles in diesem Land war darauf ausgelegt, Frauen zu infantilisieren. Das hatte sie schon zahllose Male gesagt. Aber es auszusprechen änderte absolut nichts an den Tatsachen.
    Wieder schien eine ganze Stunde zu vergehen. Aber ich will verflucht sein, wenn ich auf die Uhr sehe . Sie würde nicht offen zeigen, dass sie wartete. Für die Welt – auch wenn die nur aus vier kahlen Wänden bestand – war sie freiwillig hier. Auf sie wartete draußen jemand.
    Die Tür ging auf, der Wachmann schob den Kopf herein und winkte sie mit einer knappen Handbewegung heraus. Sie ließ sich Zeit mit dem Aufstehen, stellte ihren Koffer gerade hin, ordnete ihren Umhang und den Neqab. Sie blickte kurz auf die geöffnete Tür und sah ein Schild, das ihr zuvor entgangen war: NICHT ABGEHOLTE FRAUEN.
    Als sie in die Halle kam, stand Eric neben dem Wachmann. Er wirkte irgendwie aufgebracht. Sie wollte ihn fragen, was los sei, aber er redete mit dem Wachmann. Außerdem trug er ein neues Hemd – indigoblau, keine Farbe, die er normalerweise trug. Der seidige Stoff erinnerte sie an saudische Männer. Der Wachmann wechselte seine Maschinenpistole auf die andere Schulter und ließ sich Erics Pass und Arbeitserlaubnis zeigen. Sie wurde übergeben wie ein Staffelstab: Jetzt gehört sie dir – lauf! Eric schnappte sich ihren Koffer und nahm sie bei der Hand. Sie hasteten aus dem Gebäude, durch die Glastür und hinaus auf die Straße, wo der Ford Pick-up auf dem Bürgersteig parkte. Die Luft traf sie wie ein Schlag ins Gesicht. Es war, als würde man einen Backofen öffnen, um einen Auflauf herauszuholen, nur dass dieser Auflauf aus Dieselabgasen und Staub bestand. Sie würgte und drückte sich den Schleier an die Nase.
    Eric hievte den Koffer auf die Ladefläche, und Miriam warf sich geradezu auf den Beifahrersitz, mit eingezogenem Kopf, um sich nicht am Türrahmen zu stoßen. Sobald die Türen geschlossen waren, wurde das Klima erträglicher, als hätte jemand die Welt mit einem unsichtbaren Vorhang ausgesperrt. Eric ließ den Wagen an, wendete in einem weiten Bogen auf die Gegenspur und fuhr zurück auf die Schnellstraße.
    »Okay … nur sicherheitshalber«, sagte er und schielte in ihre Richtung. »Du bist doch meine Frau, oder?«
    Sie nahm den Neqab ab. »Deine Frau aus Stepford. Du weißt schon, die, die du am Flughafen in den Händen der Sicherheitsleute gelassen hast.«
    »Mein Gott, Miriam«, flüsterte er und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Er atmete tief durch. »Tut mir echt leid.«
    »Was ist passiert?«, fragte sie.
    »Bin ich froh, dass ich dich erwischt hab.«
    »Was. Ist. Passiert?« Sie wusste, dass sie gleich die Beherrschung verlieren würde, aber sie war entschlossen, den Zeitpunkt so lange wie möglich hinauszuschieben.
    Er blickte betreten und musste sich einen Moment sammeln. »Ich hab mich mit der Zeit

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