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Totenverse (German Edition)

Totenverse (German Edition)

Titel: Totenverse (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoë Ferraris
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schlüpfte durch die Tür und blickte sich um, betrachtete die nackten weißen Wände, den kalten Steinboden. Im Grunde gab es nicht viel zu putzen. Während Eric ihren Koffer ins Schlafzimmer schleppte, ging sie in die Küche. Bis auf eine Dose Favabohnen und etwas altes Pitabrot war der Schrank leer, und einen Moment lang kam ihr alles fremd vor. Die Küche einer Fremden. An den Hängeschränken blätterte die Farbe ab. Der Herd war fettverkrustet und trug eine Haube aus Karzinogenen und Bratrückständen. Eric hatte »toxisch« in die Schmutzschicht am Backofenfenster geschrieben. Idiot , dachte sie und zwang sich zu einem Lächeln. Das ehemals weiße Linoleum sah aus wie von Schimmel befallen, die Fliesen waren mit Dreckschlieren überzogen.
    Eric erschien an der Tür. »Ich hol uns was zu essen.«
    »Nicht nötig, ich hab keinen großen Hunger.«
    »Ich seh dir doch immer an, wenn du Hunger hast.« Er griff in die Hosentasche, holte seine Schlüssel hervor und zeigte damit auf sie. »Dann kaust du nämlich auf den Lippen. Halt die Tür verschlossen. Ich bin gleich wieder da.«
    Sie sah ihm nach. »Komm schnell wieder«, sagte sie, aber er war schon weg.
    Miriam kippte den Inhalt ihrer Handtasche auf den Tisch und sah ihn durch. Quittungen, Bustickets. Seit sie vor sechs Monaten hergekommen war, hatte sie die Tasche nicht mehr ausgemistet. Sie sortierte Bonbonpapierchen und amerikanische Pennys aus und stieß auf ein zusammengefaltetes Blatt Papier, das sie vom Konsulat bekommen hatte, als ihr Visum verlängert wurde. Es war eine Warnung des Außenministeriums. Sie hatte sie schon durchgelesen, überflog sie aber erneut, um ihr Gedächtnis aufzufrischen.
     
    Amerikanische Frauen sollten in allen Belangen der persönlichen Sicherheit äußerste Vorsicht walten lassen. Verhalten Sie sich möglichst unauffällig, beschränken Sie das Reisen innerhalb des Königreichs und melden Sie jedes verdächtige Vorkommnis unverzüglich der US-Botschaft.
    Die Religionspolizei, die sogenannten Mutaawaiin, besitzt dieselben Befugnisse wie die normale Polizei. Um sicherzustellen, dass konservative Verhaltensregeln gewahrt bleiben, schikanieren und verhaften die Mutaawaiin Frauen für folgende Übertretungen:
    – Alkoholgenuss
    – das Tragen von Hosen oder anderer westlicher Kleidung
    – Essen in öffentlichen Restaurants
    – Auto- oder Fahrradfahren
    – in der Öffentlichkeit tanzen, Musik hören oder Filme anschauen
    – Umgang mit einem Mann, der nicht der eigene Ehemann oder ein Familienmitglied ist
    Frauen, die in der Öffentlichkeit Umgang mit Männern pflegen, mit denen sie nicht verwandt sind, können der Prostitution angeklagt und mit Gefängnis oder dem Tod bestraft werden.
    Auf Drogenhandel steht ausnahmslos die Todesstrafe. Vertreter der Vereinigten Staaten haben KEINERLEI MÖGLICHKEIT, vor saudischen Gerichten Milde für US-Staatsbürger zu erwirken.
    Als sie diese Informationen zum ersten Mal las, war es ihr kalt den Rücken heruntergelaufen. Wehmütig erinnerte sie sich daran, dass sie, als Eric und sie beschlossen hatten, nach Dschidda zu gehen, von Nomaden und dunkelhäutigen Männern auf Pferden geträumt hatte, von Schwertern in Lederscheiden und von Falken, die hoch über weiß beturbanten Köpfen kreisten. Saudi-Arabien war romantisch, wenn du ein Mann warst.
    Sie knüllte das Blatt zusammen und warf es in den Abfall. Jetzt war sie zurück – offiziell zurück –, und obwohl sie erst zwanzig Minuten wieder zu Hause war, wartete sie bereits auf Erics Rückkehr aus dem Laden, von der Arbeit, aus einer Welt, die sie ohne ihn nicht zu betreten wagte. Warten, noch mehr Warten. Ihr Koffer war randvoll mit Utensilien für Freizeitbeschäftigungen, für die sie in den Staaten nie etwas übrig gehabt hatte: Sticken, Häkeln, Stricken. Sie würde in der Wüste stricken. Irgendwann würde sie darüber lachen, aber im Augenblick war das nicht lustig. Du liebe Güte , dachte sie, jetzt warte ich sogar schon darauf, lachen zu können .
    Sie kramte den letzten Rest aus der Handtasche und bemerkte eine kleine Plastikscheibe in ihrer Hand. Nachdem sie alles Übrige entsorgt hatte, inspizierte sie das Ding. Es sah aus wie die Speicherkarte einer Digitalkamera, aber es gehörte ihr nicht. Verwundert steckte sie es in ihre Hosentasche und nahm sich vor, Eric danach zu fragen, wenn er wieder da war.
    Bedrückt öffnete Miriam die Hintertür und stapfte die Treppe zum Dach hinauf. Wenigstens hier oben konnte sie so

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