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Totenverse (German Edition)

Totenverse (German Edition)

Titel: Totenverse (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoë Ferraris
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vertan. Miriam, ehrlich, ich –«
    »Du hast die Zeit vergessen?«
    »Es ging drunter und drüber auf der Arbeit …« Er verstummte kleinlaut. »Bitte, verzeih mir. Es wird nie wieder vorkommen.«
     
    Da hast du verdammt recht , dachte sie. Doch es gelang ihr nicht, wütend zu bleiben, weil sie zu erleichtert war, ihn zu sehen. Sie blickte aus dem Fenster, um sich zu beruhigen. Sie kamen zügig voran. Die Straßen huschten nur so vorbei.
    Miriam holte tief Luft und sagte: »Wie geht’s dir?«
    »Wie immer. Wie war die Reise?«, fragte er, um sie milde zu stimmen.
    »Gut«, antwortete sie. Dann konnte sie nicht umhin und fügte hinzu: »Zu kurz.«
    Er sprang nicht darauf an. »Du hast mir gefehlt. Ein Monat ist zu lang.«
    »Mmmmh.«
    Er überraschte sie, indem er ihre Hand nahm. »Aber es ist mir gelungen, eine zweite Frau zu finden, deshalb war es nicht ganz so schlimm.«
    »Ach ja?« Sie lächelte ihn schwach an. Sie würde mitspielen. »Daher also das neue Hemd.«
    »Nee, das hat mir einer von den Sekretären auf der Arbeit geschenkt. Sein Vater betreibt einen Stoffbasar in Riad. Aber zurück zu meiner neuen Frau. Das Schöne ist, sie ist Saudi und sie kocht und putzt. Also bist du ab jetzt fein raus.« Er warf ihr einen vielsagenden Blick zu. »Dich heb ich mir für andere Sachen auf.«
    »Ich wollte schon immer mal wissen, wie Mätressen so leben.«
    Eric stieg in die Bremsen, scherte auf den Randstreifen aus und brauste dramatisch über ein steiniges Stück Sand, ehe er neben einem Gebüsch zum Stehen kam. Seine Fäuste umklammerten das Lenkrad, und einen Moment lang dachte Miriam, sie wäre zu weit gegangen.
    Er beugte sich zu ihr herüber, nahm ihr Gesicht in beide Hände und küsste sie. »Sei nicht mehr böse«, flüsterte er. »Nur noch sechs Monate, dann gehen wir zurück. Versprochen.«
    Sie schloss die Augen. Sie wollte ihm sagen, dass es nicht um ihre Angst vor den kommenden sechs Monaten ging, sondern darum, was in den vorausgegangenen sechs geschehen war, um die Furcht, die Frustration, die ständige Sorge. Dieses Land machte langsam ihre Ehe kaputt, und sie fürchtete, wenn sie endlich wieder nach Hause kamen, könnte es zu spät sein.
    Aber das alles hatte sie schon gesagt. Und er hatte es nicht verstanden. Sie lehnte sich im Sitz zurück und sprach die Worte aus, die ihr seit Monaten im Kopf hallten. »Ich will einfach nur nach Hause.«
    Den Rest des Weges fuhren sie in der Dunkelheit, die dann und wann von der rosa Leuchtschrift einer Schawarma-Imbissbude am Straßenrand durchbrochen wurde. Miriams Magen knurrte vor Hunger, aber sie wollte nicht, dass sie anhielten.
    Als der Pick-up in die Straße einbog, die in ihr Wohnviertel führte, verlor sie die Orientierung. Von außen war das hier ein fremdes Land, ein Männerland. Ihre Kenntnis der Umgebung beschränkte sich auf die Mauern des Hauses, in dem sie wohnten, und den seltenen raschen Gang zum Lebensmittelladen.
    Jetzt bot sich ihr ein Anblick, den sie nicht oft zu sehen bekam, ein weitläufiges Viertel voller Immigranten aus Somalia, dem Sudan und anderen muslimischen Ländern, Männer, die den lieben langen Tag die Straßen von Abfall säuberten – aber nicht in dem Stadtteil, wo sie selbst wohnten. Sie sah auch Saudis in ihren weißen Gewändern und Kopftüchern. Ein junger Mann mit einer Baseballmütze über dem Kopftuch ging an ihrem Wagen vorbei und spuckte dicht neben den Kotflügel. Miriam verzog das Gesicht und dachte, dass die Männer hier viel zu viel spuckten, um von Menschen abzustammen, die darauf achteten, mit Körperflüssigkeiten sparsam hauszuhalten. Aber das waren ja auch keine Beduinen, und hier war nicht die Wüste. Hier war Dschidda, die schwüle Hafenstadt, die in der endlosen Feuchtigkeit vom Meer vor sich hin dünstete.
    Als sie herkamen, hatte Eric sie davon überzeugt, dass eine Wohnung in dieser Gegend sicherer war als in irgendeiner der westlichen Wohnanlagen, der Compounds. Aber in Wahrheit wohnten sie hier, weil ihm das abgeschottete Leben der Amerikaner zuwider war. Er achtete die muslimische Kultur und wollte an ihr Anteil haben, zumindest solange sie hier waren. In seiner Militärzeit hatte er Arabisch gelernt, und zwei Einsätze im Irak hatten ihn gelehrt, dass an muslimischer Lebensart mehr dran war als bloß eine Handvoll Terroristen und ein bisschen Wasserpfeifenrauch. Es hätte all seinen Überzeugungen widersprochen, sich in einem Compound abzukapseln, auch wenn das der einzige Ort war, wo

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