Totenverse (German Edition)
wiederholt gesprochen hat oder der ihr irgendwie aufgefallen ist?«
Abdulrahman starrte ihn zornig an. »Wenn irgendwer meiner Schwester nachgestellt hätte, dann hätten wir das gewusst.« Seine Stimme war jetzt feindselig. »Wir hätten ihr einen Fahrer besorgt oder sie bedrängt, sich einen anderen Job zu suchen. Wir hätten niemals zugelassen, dass sie sich in Gefahr begibt.«
Fuad stand vom Schreibtisch auf und reichte Osama zwei DVDs.
Osama blickte zur Tür. Ra’id war verschwunden.
»Hatte Ihr Neffe ein gutes Verhältnis zu Ihrer Schwester?«, fragte Osama.
Abdulrahman blickte finster zur Tür. »Ja.«
»Bitte holen Sie ihn wieder her. Wir müssen ihm noch ein paar Fragen stellen.«
Mit einem knappen Winken schickte Abdulrahman Fuad los, Ra’id zurückzuholen.
Dann begann die ermüdende Aufgabe, die Mitarbeiter zu vernehmen und Alibis abzuklären. Abdulrahman blieb die ganze Zeit auf dem Sofa sitzen und starrte trotzig zu Boden. Er hatte keine Einwände dagegen erhoben, dass die Polizei seinen Betrieb mehr oder weniger lahmlegte, und Osama hatte das als gutes Zeichen gewertet. Tatsächlich bestätigte sich nach einigen Telefonaten, dass Abdulrahman an dem Tag von Leilas Verschwinden mit einem Freund zu Mittag gegessen hatte. Doch von da an wurde es verworren. Die Verkäufer und die übrigen Mitarbeiter im Atelier machten unterschiedliche Aussagen: Abdulrahman war später als sonst ins Geschäft gekommen, er hatte den ganzen Tag hier verbracht, er war überhaupt nicht da gewesen und er war den ganzen Vormittag über ein- und ausgegangen.
Schließlich rief Osama im Präsidium an und schickte ein Team von der Spurensicherung zu Abdulrahmans Haus. Außerdem forderte er Leute an, die Abdulrahman nach Hause fahren sollten. Er selbst hätte das auch machen können, aber er wollte sich im Auto ungestört mit Faiza unterhalten.
Osama kehrte in das Büro zurück, wo Faiza auf Abdulrahman aufpasste.
»Herr Nawar, wir bringen Sie jetzt nach Hause«, erklärte Osama. »Wir würden uns gern Leilas Zimmer ansehen.«
»Meine Frau ist da«, knurrte Abdulrahman. »Und meine Kinder.«
»Wir werden dafür sorgen, dass Ihnen keine Unannehmlichkeiten entstehen«, sagte Osama.
»Sie werden unter keinen Umständen mit meiner Frau reden, ist das klar?«
Osama nickte, verärgert über den drohenden Tonfall und den unausgesprochenen Verdacht, dass Osama mehr von seiner Frau wollte als eine schlichte Zeugenbefragung. »Aber vielleicht lässt es sich nicht umgehen, ihr einige Fragen zu stellen«, entgegnete er ruhig. »Das wird dann meine Kollegin Shanbari übernehmen.«
Abdulrahman beäugte Faiza, als nähme er sie zum ersten Mal zur Kenntnis. Er starrte sie lange und eindringlich an und sagte schließlich: »Also gut. Sie darf mit meiner Frau reden, aber ich will dabei sein.«
Sobald die Kollegen eingetroffen waren, um Abdulrahman abzuholen, gingen Osama und Faiza zurück zum Wagen. Fuad begleitete sie nach draußen und entschuldigte sich dafür, ihnen nichts zu trinken angeboten zu haben.
Hättest du es getan, würde es die Sache nur noch schwieriger machen , dachte Osama.
Im Auto nahm Faiza ihren Neqab nicht ab. Das war, wie Osama inzwischen gelernt hatte, ein Zeichen dafür, dass sie etwas Unangenehmes zu sagen hatte.
Er ließ den Motor an, fuhr los und versuchte, nicht darüber nachzudenken, was ihr wohl auf der Seele brannte. Sie griff in den Fußraum nach der Papiertüte, nahm einen Donut heraus und fing, mit einem leicht schuldbewussten Blick in seine Richtung, an zu essen. Er musste schmunzeln.
»Die wussten schon Bescheid, ehe wir es ihnen gesagt haben«, erklärte sie.
»Ja, das war eigenartig«, bestätigte er. »Ihr Bruder schien es zu wissen. Aber das kann ihm auch der gesunde Menschenverstand gesagt haben. Wenn die Polizei kommt, ist meistens was Schlimmes passiert.«
Sie nickte. »Vielleicht haben sie es uns angesehen.«
»Ich dachte schon, Sie würden mir sagen, ich hätte sie härter in die Mangel nehmen sollen«, sagte er und bemerkte, dass sie ein bisschen Schokolade an der Nase hatte.
Sie lächelte. »Sie waren wirklich ziemlich behutsam.«
»Wie kommt’s, dass die Frau hier dem Mann sagt, er soll härter durchgreifen?«
»Ist doch immer so«, konterte sie. »Denken Sie nur mal an Ihre Eltern.«
»Sie kennen meine Eltern nicht.«
»Muss ich auch nicht, es ist überall dasselbe.« Sie sprach mit vollem Mund, und irgendwie war das liebenswert.
»Nein«, sagte er mit Nachdruck. »Das
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