Totenverse (German Edition)
das hellrote Fingerabdruckpulver wie in den Krimiserien nehmen. Das versaut die Granitplatten.«
Woraufhin Osama ihn beim Arm nahm und ihn unsanft aus dem Raum bugsierte.
15
Katya starrte müde auf den Monitor. Leilas DVD war im Laufwerk, und die Filmaufnahmen der Toten liefen – lautlos bis auf vereinzelte Ausrufe. Verdammt . Und Oh Scheiße! Leilas Stimme von den Toten.
Majdi hatte den ersten Teil der DVD bereits gesichtet, aber für den Rest keine Zeit mehr gehabt und ihn Katya überlassen. Nach ihrem Coup mit dem Bluetooth-Neqab hatte sie gehofft, man würde ihr endlich einmal etwas richtig Interessantes anvertrauen. Vielleicht war das hier ja interessant, und sie merkte es bloß nicht. Das Filmmaterial war lang und ungeschnitten, und die letzten vierzig Minuten waren lediglich Hintergrundaufnahmen für Nachrichten gewesen. Szenen von schwarz verhüllten Frauen in Einkaufszentren, Autos, die nachts durch irgendeine namenlose, stark befahrene Straße rollten, betende Männer in einer Moschee, die typischen öden Bilder, wie man sie jeden Abend in den Lokalnachrichten zu sehen bekam.
Im Augenblick liefen Aufnahmen, die Leila nicht für den Sender gedreht hatte. Sie waren vor fünf Monaten entstanden, wie das Datum zeigte, aber Katya sah sie sich trotzdem an, nur für alle Fälle.
Fünfzehn Minuten später unterbrach sie die Arbeit und stand auf, um sich die Beine zu vertreten. Die Luft draußen war feucht-schwül und hinterließ einen leichten Schleier auf den Fenstern. Das Sonnenlicht tanzte in wässrigen Mustern auf der gegenüberliegenden Wand. Sie nahm sich eine Flasche Orangensaft aus dem kleinen Kühlschrank neben ihrem Schreibtisch und setzte sich wieder.
Schließlich war sie mit der DVD so gut wie durch. Blieb nur noch ein Teil zu sichten, der mit Spiele betitelt war. Sie öffnete ihn.
Das Gesicht einer Frau erschien auf dem Bildschirm. Sie war Mitte zwanzig, hatte ein kleines, spitzes Kinn und beinahe grotesk große Augen, eine komische Mischung, die sie wunderbar effektvoll einsetzte.
»Was das Phänomen Pokémon betrifft«, sagte die Frau sehr ernst und mit nachdrücklichem Kopfnicken, »so haben Wissenschaftler unlängst nachgewiesen, dass die berühmten für Kinder konzipierten Sammelkarten evolutionstheoretische Prinzipien verkörpern.« Am unteren Bildrand erschien ein Text. Faruha Abdel Ali, Pokémon-Spezialistin.
Katya lachte leise. »Da ich selbst zu der Generation von Kindern gehöre, die in Saudi-Arabien für kurze Zeit in Kontakt mit Pokémonkarten kam, ehe die religiöse Obrigkeit sie verbot, kann ich ihre Behauptung bestätigen, dass die Karten –« An dieser Stelle konsultierte Faruha einen Zettel, den sie in der Hand hielt, »– ›eine jüdisch-darwinistische Theorie verkörpern, die der Wahrheit über den Menschen widerspricht‹, wie es so schön formuliert wurde. Ich kann darüber hinaus bezeugen, dass sie eine ›Front für Israel‹ sind, ›die von den Köpfen saudischer Kinder Besitz ergreift‹. Das heißt jedoch nicht, dass besagte Kinder die Karten nicht für ihr Leben gern tauschen und dadurch praktisch die Grundprinzipien des Glücksspiels erlernen.«
Außerhalb des Bildschirms lachte Leila, eine jähe laute Stakkatosalve, in der eine ansteckende Fröhlichkeit mitschwang.
Katya setzte sich auf. Sie ließ die Aufnahme zurücklaufen und hörte sich die Stelle noch einmal an. Es war so ein schönes Lachen, und es hatte eine seltsame Wirkung. Abgesehen von den gelegentlichen Ausrufen war Leila selbst bislang auffällig abwesend gewesen. Dieses kurze, spontane Lachen hatte den Raum mit ihrer Anwesenheit aufgeladen.
Katya öffnete den Aktenordner und sah sich das Bluetooth-Foto noch einmal an, aber der Ausdruck in Leilas Gesicht war bewusst verführerisch. Hallo Süßer , schien es zu sagen. Es war der typische Gesichtsausdruck, den Models in Modezeitschriften aufsetzten.
Nachdem sie sich den Pokémon-Teil noch einmal angeschaut hatte, schrieb Katya den Namen Faruha Abdel Ali auf einen Zettel und ging zu dem anderen Computer. Sie suchte in der Polizeidatenbank nach einer Faruha und fand sie auf Anhieb. Die junge Frau hatte sich in Dschidda einen Ausweis ausstellen lassen. Allah sei Dank, dachte Katya, nahm die DVD und eilte aus dem Raum.
Majdi saß wie üblich in seinem Labor, einen Becher Starbucks-Kaffee in der Hand, in der anderen die Computermaus, die er virtuos bediente. Katya, die hinter ihm stand, wurde ganz wirr im Kopf von der Schnelligkeit, mit
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