Totenverse (German Edition)
stimmt nicht. Und meine Frau verlangt nie von mir, ich sollte härter durchgreifen. Das tun nur Sie, Faiza.«
Mit einem schuldbewussten Blick griff sie erneut in die Tüte.
»Da ist noch einer drin?«, fragte er ungläubig. »Geben Sie her.«
»Sie können die Hälfte haben.« Sie teilte den Donut, ehe er widersprechen konnte, und hielt ihm eine Hälfte hin.
»Nein, nein. Ich hab keinen Hunger«, sagte er. »Ich wollte bloß nicht, dass Sie den auch noch essen. Sie hatten doch schon zwei.«
»Mein Mann mag mich mollig«, antwortete sie treuherzig.
Er sah einen Faden Cremefüllung über dem Sitz schweben. Sie reichte ihm die Donuthälfte, und er biss hinein.
»Diese Männer haben gelogen«, sagte sie. »Ich meine nicht, was ihre Alibis betrifft, sondern Ra’id.«
»Ich weiß.« Er antwortete mit vollem Mund, in der Hoffnung, überzeugend zu klingen. Er hatte nicht das Gefühl gehabt, dass sie logen, und Rafiqs mahnende Worte hallten ihm laut durch den Kopf: Wenn du schon so verdammt nett sein musst, Osama, dann wenigstens nur zu Leuten, die es verdient haben. Wie ich zum Beispiel . Er würgte den Bissen runter und trank einen Schluck Kaffee. Aber mittlerweile war er doch wesentlich abgebrühter. Er hätte Faiza gern gesagt: Wenn Sie dabei sind, will ich nicht zu böse wirken. Eines Tages werden Sie schon sehen. Wenn es sein muss, kann ich auch knallhart sein .
Er sah sie an, aber sie schob sich nur das letzte Stück Donut in den Mund und blickte geradeaus.
Abdulrahmans Haus war eines der prächtigsten, die Osama je gesehen hatte. Es war neu, höchstens ein paar Jahre alt, aber in einem traditionellen Stil erbaut, der trotz vieler ungewöhnlicher Elemente durch und durch typisch für Dschidda war. Die hohe Fassade war mit Korallenstein verkleidet, elegante Holzgitter bedeckten die Fenster, und von der Straße aus war eine große Veranda zu sehen. Abdulrahman führte Osama und die Männer der Spurensicherung ins Haus. Er wirkte noch immer nervös und aufgewühlt. Ein Diener kam, und Abdulrahman befahl dem Mann, ihnen Getränke zu servieren.
»Eigentlich«, sagte einer der Spurensicherer, »wäre es uns lieber, wenn sie draußen warten würden.«
Der Diener warf Abdulrahman einen fragenden Blick zu. »Meinetwegen«, sagte der. »Tu, was die Männer sagen.«
Faiza ließ sich von dem Diener den Weg in den Salon der Frauen beschreiben, wo Frau Nawar mit den Kindern vor dem Fernseher saß. Osama schaute ihr nach.
Abdulrahman führte ihn und die Spurensicherer durch den Innenhof, eine weitläufige Fläche, die durch üppige Bepflanzung und kunstvolle Mosaike wie in ein grünes Licht getaucht schien. In einem tiefer liegenden Vorhof befand sich ein Swimmingpool, dessen Boden so gefliest war, dass er einem riesigen gewebten Teppich ähnelte. Die Bogendurchgänge waren zweimal mannshoch und sämtliche Oberflächen mit poliertem Stein und den kunstvoll geschnitzten Schriftzügen Allah und Allah Akbar bedeckt. Osama dachte unwillkürlich, dass es Abdulrahman nicht schwergefallen sein konnte, den Unterhalt für seine Schwester zu bestreiten. Sie gingen durch ein halbes Dutzend prachtvoll dekorierter Räume mit vielen Elementen traditioneller Kunst: eine alte Wasserpfeife neben zwei steinernen Bänken, beduinische Antiquitäten der unterschiedlichsten Art, darunter ein Gewehr und ein Patronengurt und eine Marmortafel mit einer eingemeißelten Passage aus dem Koran. Mal schritten sie über dicht gewebte Teppiche, dann wieder über kunstreiche Steinmuster oder frisch polierte Holzböden.
Über eine breite Treppe gelangten sie in einen großen Salon. Hier standen an jeder Wandseite drei Sofas nebeneinander, sodass sie ein großes Quadrat bildeten, und in der Mitte ragte ein wuchtiges rundes Objekt auf, das aussah, wie eine auf Pkw-Format vergrößerte Beduinenteekanne. Es hätte leicht kitschig wirken können, aber es bestand außen aus engmaschigem Metall und im Innern waren zwei Sessel zu sehen, beide mit Blick auf ein großes Erkerfenster. Zwischen den Sesseln stand ein stattliches Teleskop.
»Leila hat gern die Sterne beobachtet«, sagte Abdulrahman und zeigte auf das Teleskop.
Weiter ging es durch den Salon in einen Gang, der zu einer Reihe von Schlafzimmern führte. Die Türen standen offen. Im Vorbeigehen bemerkte Osama in jedem Raum ein breites Doppelbett. Allmählich gewann er den Eindruck, dass in dem Haus hundert Menschen hätten übernachten können.
»Leben Sie hier allein mit Ihrer Familie?«, fragte
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