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Totenverse (German Edition)

Totenverse (German Edition)

Titel: Totenverse (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoë Ferraris
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folgte dem Assistenten, als er wieder ins Büro kam. Niemand protestierte, und Osama nahm an, dass der junge Mann zur Familie gehörte. Er wirkte verängstigt.
    »Sie ist tot, nicht?«, fragte Abdulrahman, die Miene zugleich voll Wut und Trauer. Der Assistent und der junge Mann blieben abwartend in der Nähe des Sofas stehen.
    »Ist sie tot?«, fragte Abdulrahman ungeduldig.
    »Herr Nawar, wir würden gern mit Ihnen allein reden, falls das möglich wäre«, sagte Osama.
    »Das sind mein Neffe Ra’id und mein Assistent Fuad.« Abdulrahman zeigte auf die beiden. »Ich sage, sie können bleiben. Und jetzt sagen Sie schon, was passiert ist.«
    »Es tut mir leid«, sagte Osama. »Wir haben gestern am Strand eine Leiche gefunden, und wir glauben, dass es Ihre Schwester Leila ist.«
    Abdulrahman zeigte keine Regung, aber der junge Neffe Ra’id stöhnte auf, als hätte er einen Messerstich abbekommen. Er fing an zu zittern, und Tränen kullerten ihm über die Wangen.
    »Wo ist sie?«, fragte Fuad rasch. »Können wir sie sehen?«
    Osama dachte an die Leiche und erschauderte innerlich. »Sie ist bei unseren Medizinern«, sagte er leise und fügte hinzu: »Medizinerinnen.«
    »Aber Sie sind nicht sicher, dass sie es ist«, blaffte Fuad. »Sie glauben nur, dass sie es ist?«
    »Fuad, halt den Mund.« Abdulrahman starrte zornig zu Boden.
    Osama kam sich allmählich komisch vor, so neben dem Sofa zu stehen. Er zog für Faiza einen Drehstuhl unter dem Schreibtisch hervor und setzte sich auf einen Klappstuhl aus Metall in der Ecke. Der Neffe Ra’id machte keine Anstalten, sich die Tränen abzuwischen. Seine Augen fixierten die Mitte von Osamas Hemd, als fände er dort die Antwort auf alle Fragen, aber Fuad gab ihm einen Stups, und er setzte sich auf die erstbeste Sitzgelegenheit in seiner Nähe, die Sofalehne. Fuad blieb weiterhin stehen.
    Osama holte seinen Notizblock und Stift hervor, um ein wenig Zeit zu schinden und sich zu sammeln. Er bemerkte, dass Faiza entspannt wirkte, die Hände im Schoß, und Leilas Bruder beunruhigend intensiv musterte. Der hingegen ignorierte sie vollkommen.
    »Ich möchte Sie bitten, mir ein paar Dinge zu bestätigen, wenn Sie können«, sagte Osama. »Wir haben sie anhand des Fotos identifiziert, das Sie mit der Vermisstenmeldung eingereicht haben.« Er wollte ihnen nicht sagen, was mit ihrem Gesicht geschehen war. »Wir haben es mit einem Bild abgeglichen, das wir in … ihrem Neqab gefunden haben.«
    Anscheinend verstand Ra’id genau, was er meinte. Die Besonderheit des Neqab schien ihn endgültig zu überzeugen, denn ein wissender Ausdruck stahl sich über sein Gesicht. »Aber wie kann sie denn … wie kann …«, stammelte er. Als Abdulrahman und Fuad ihn fragend ansahen, sagte Ra’id: »Sie hatte ein Bluetooth in ihrem Neqab. Aber ich dachte, da wäre nur ein Bild von ihrem verschleierten Gesicht drauf«, beteuerte er und blickte seinen Onkel ängstlich an. »Es war doch bloß ein Scherz … Ich hab gedacht, ihr Gesicht könnte keiner sehen.«
    »Wir haben es gesehen«, sagte Osama. Fuad blickte angewidert drein.
    Abdulrahman schloss die Augen, schlug eine Hand vor den Mund und hob das Gesicht zur Decke, aber Osama konnte nicht erkennen, ob vor Erschütterung oder vor Wut. Ra’id zitterte wieder.
    Osama empfand Mitgefühl, natürlich, aber Rafiq hatte ihn immer gedrängt, konzentriert zu bleiben, also zwang er sich, die Männer so objektiv zu betrachten wie möglich. Abdulrahman hatte ein breites, rundes Gesicht, das von einem schwarzen Schnurrbart und den buschigsten Augenbrauen, die Osama je gesehen hatte, beherrscht wurde. Vom Alter her hätte er auch Leilas Vater sein können; sein Haar sah spröde aus wie Putzwolle, an den Schläfen ergraut, und seine Stimme war ein grollender Bariton, der vom Alter bereits rau wurde.
    Sein Neffe Ra’id war klein und mager, wahrscheinlich noch keine zwanzig; sein spitzes Gesicht hatte einen gehässigen Ausdruck. Im Augenblick war er vorgebeugt, bebte leicht und umklammerte mit den Händen die Knie. Eine fettige Haarsträhne fiel ihm in die Stirn. Der Assistent, Fuad, sah aus wie Ende zwanzig, war groß und gut gebaut, mit kantigen Kiefer- und Wangenknochen und Schultern. Er wirkte wie ein Mann, der auf Details achtete. Sein Anzug war adrett gebügelt, seine Manschettenknöpfe glänzten, und jedes Mal, wenn sich jemand bewegte, sah er automatisch in die Richtung, und zwar mit einem Blick, der signalisierte, dass er bereit war, sogleich zu Hilfe

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