Totenwache - Thriller
andere Gegend ziehen - das machen doch viele Reiche -, wo du weiter oben auf der Liste stehst, oder in eine Region, wo mehr Transplantationen durchgeführt werden.«
»Mehr als hier an der Uniklinik? Das UPMC Presbyterian in Pittsburgh ist eines der größten Transplantationszentren im ganzen Land. Außerdem kann ich doch nicht einfach von hier wegziehen - ich hab schließlich auch berufliche Ziele.«
»Von einer toten Karrierefrau habe ich bisher leider noch nie etwas gehört. Du könntest auch ins Ausland gehen. In ein Land, wo die Organbeschaffung nicht so streng reglementiert ist - wo du größere Chancen hast, ein Spenderorgan zu erhalten.«
»Aber was soll ich denn im Ausland machen? Das ist doch wohl nicht dein Ernst.«
»Doch, das ist mein voller Ernst. Hast du nicht selbst gesagt, dass du hier kaum eine Chance hast? Du kannst doch nicht einfach abwarten, bis du stirbst.«
Riley stampfte widerwillig mit dem Fuß auf. »Vergiss bitte eines nicht: Es geht hier immer noch um mein Leben.«
»Entschuldige mal, aber ganz so einfach ist das nicht. Ich liebe dich nämlich zufällig, Riley - und Nick auch. Und deshalb haben wir beide dir gegenüber gewisse Rechte. Du
kannst doch nicht einfach den Ball nehmen und nach Hause gehen - schließlich trägst du auch für uns eine gewisse Verantwortung.«
»Ich habe genug davon, ständig für alles verantwortlich zu sein.«
»Dein Pech. Willkommen in Mencken, Riley. Willkommen zu Hause. Du warst schon immer die pflichtbewusste große Schwester, und daran dürfte sich auch in Zukunft kaum etwas ändern. Du musst unbedingt etwas unternehmen, um deine Chancen zu verbessern. Du hast alle Möglichkeiten des offiziellen Systems ausgeschöpft, jetzt bleibt dir gar nichts anderes mehr übrig, als alle Bedenken über Bord zu werfen.«
»Du hast gut reden.«
»Du meinst, du hast es besonders schwer, weil du bald sterben musst? Versetz dich doch mal in meine Lage. Was glaubst du, wie es für mich ist, wenn ich hier ganz allein zurückbleibe? Du bist alles, was ich auf der Welt habe, Riley. Bist du dir darüber eigentlich im Klaren? Wenn du stirbst, stirbt für mich eine ganze Welt.«
Riley blickte ihrer Schwester in die Augen. Sie sah dort Liebe und tiefe Zuneigung - und die gleiche unerschütterliche Entschlossenheit, die sie früher einmal selbst ausgezeichnet hatte. Doch das lag lange zurück. Seit das Gift von ihrem Blut Besitz ergriffen hatte, war ihr Lebenswille fast gänzlich erloschen. Sie fühlte sich nur noch unendlich leer - wie von einer schweren Eisenrüstung erdrückt. Sie hatte unerträgliches Kopfweh, ihr ganzer Körper war ein dumpfer Schmerz. Sie warf Sarah die Arme um den Hals - doch nicht etwa aus einer zärtlichen Anwandlung heraus, sondern schlicht, weil sie sich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Dann begann sie leise zu weinen.
»Oh, Sarah, was soll ich denn nur tun?«
»Weiterleben«, sagte Sarah, »und wenn es uns beide das Leben kostet.«
Dann gingen die beiden gemeinsam zu dem Haus zurück, in dem sie ihre Kindheit verbracht hatten. Auf den letzten zweihundert Metern musste Sarah ihre Schwester fast tragen. Schließlich schleppte sie Riley die Verandastufen hinauf.
»Wann warst du eigentlich zuletzt bei der Dialyse?«, fragte sie, als sie die Eingangstür aufmachte.
»Vor fünf Tagen.«
»Das ist viel zu lange. Wir müssen unbedingt …«
Sie blieben wie angewurzelt stehen.
Mitten im Raum stand Cruz Santangelo und hatte einen Revolver auf sie gerichtet. Er sah Sarah an.
»Hallo, Angel«, sagte er.
44. Kapitel
Santangelo bedeutete den beiden, dass sie hereinkommen sollten.
»Normalerweise würde ich ja von Ihnen verlangen, dass Sie die Tür hinter sich zumachen«, sagte er. »Aber das erübrigt sich wohl in diesem gottverlassenen Kaff. Oder wie sehen Sie das, Angel?«
»Halten Sie den Mund, Cruz«, sagte Sarah.
Riley sah abwechselnd Santangelo und ihre Schwester an, die ihren ungläubigen Blicken hartnäckig auswich. Dann ging ihr ein Licht auf.
»Mein Gott, dann bist du also … die Frau mit den roten Haaren. Aber das heißt ja … oh Sarah, was hast du bloß getan?« Riley sackte in sich zusammen.
»Den Weg hätten Sie mir auch ein bisschen genauer beschreiben können«, sagte Santangelo. »Ich dachte unterwegs schon, dass ich falsch abgebogen bin. Das verdammte Kaff ist ja auf keiner Karte mehr verzeichnet.«
Sarah zog ihre Schwester hoch und setzte sie auf einen Stuhl. Dann streckte sie Santangelo die Hand entgegen und
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