Totenwache - Thriller
Bäume, Büffelgrasbüschel -, die sich an einigen Stellen gehalten hatten, wo mit dem Abraum auch etwas Erdreich oder Lehmboden auf die Halde gelangt war. Riley entdeckte das Gestrüpp auf der linken Seite etwa zwanzig Meter weiter oben - und dann war es plötzlich verschwunden.
Wieder hatte sich eine dunkle Wolke vor den Mond geschoben. Alles war wie ausgelöscht: ob Bäume, Büsche oder andere lebensrettende Wegmarken. Gefahrlos fortbewegen konnte sich Riley auf der schwelenden Abraumhalde nur so lange, wie der Mond schien - andererseits war sie für Santangelo besonders leicht zu entdecken, wenn der Hang im hellen Mondschein lag. Blieb also nur eine Taktik: Solange der Mond schien, musste sie sich orientieren und anschließend im Schutz der Dunkelheit möglichst rasch weiterklettern.
Sie torkelte weiter den Hang hinauf, hielt aber nicht direkt auf das kümmerliche Gestrüpp zu. Ein Stück weiter oben links war das Gelände besonders gefährlich, so viel wusste sie noch - oder ob sie sich täuschte? An einem Wintertag
vor zwei Jahren hatte sie in eine Decke gehüllt hinter dem Haus auf der Veranda gesessen, Kaffee getrunken und beobachtet, wie sich unter dem schmelzenden Schnee die Konturen des unterirdischen Kohlebrands abzeichneten. Doch dass sie selbst oben auf der Halde gewesen war, lag schon viel länger zurück. Hinzu kam, dass sich aus der Nähe plötzlich alle Proportionen und Abstände verschoben. Ob sie sich wirklich auf ihr Gedächtnis verlassen konnte? Und wie weit hatte sich der Brand in den vergangenen zwei Jahren in den Untergrund gefressen? Sie wusste zwar nicht, ob der Weg, für den sie sich entschieden hatte, wirklich sicher war, aber was blieb ihr schon für eine Wahl?
Also krabbelte sie den Hügel hinauf, bis sie sich mit dem Gestrüpp auf derselben Höhe befand. Dann bog sie scharf nach links ab und kroch direkt auf die Wegmarke zu. Dort angekommen, verbarg sie sich hinter dem Gestrüpp und lauschte angestrengt.
» Ri-i-i-ley!«
Santangelo war mittlerweile schon ein gutes Stück den Hang hinaufgeklettert. Riley konnte deutlich die kleinen Krater erkennen, die sie selbst in dem unberührten Kohlestaub hinterlassen hatte. Außerdem knirschte die Schlacke, die sie mit den Füßen lostrat, so laut wie ein Auto, das über einen Kiesbelag rollt. Warum sollte sie sich also überhaupt noch verbergen? Selbst ein Blinder hätte sie hier oben finden können.
» Ri-i-i-ley! Los, kommen Sie schon, Riley. Sonst werden meine Schuhe noch ganz schmutzig. Ich will doch bloß mit Ihnen reden - hat Ihre Schwester Ihnen das denn nicht gesagt? Wenn ich Sie umbringen wollte, hätte ich das in dem Moment tun können, als Sie vorhin zur Tür hereingekommen sind.«
Riley blickte den Hang hinauf. Ihr nächster Zielpunkt
war ein dicker Stein etwa dreißig Meter weiter oben. Als sie wieder nach unten schaute, sah sie in der Dunkelheit undeutlich eine Bewegung. Dann kam der Mond erneut hinter den Wolken hervor. Nicht weit von ihrem letzten Rastpunkt entfernt konnte sie Santangelos Gestalt erkennen. Ihr erster Impuls war, die Flucht zu ergreifen. Doch dann fiel ihr plötzlich etwas ein, und sie blickte wieder den Hang hinunter. Wenn sie Santangelo dazu bewegen konnte, sich ihr auf dem kürzesten Weg zu nähern - also nicht denselben Weg zu nehmen wie sie selbst -, dann hatte sie vielleicht noch eine Chance.
Zugegeben: eine völlig absurde Idee. Doch was blieb ihr anderes übrig? Sie konnte schließlich nicht ewig vor ihm davonlaufen, zumal sie sich kaum noch auf den Beinen zu halten vermochte. Noch ein paar Minuten, dann hatte er sie sowieso eingeholt, und dann …
»Hier bin ich«, rief sie im Schutz des Gebüschs. »Kommen Sie doch rauf, dann können wir reden.«
Im nächsten Augenblick fiel ein Schuss. Riley hörte etwas zischen und dann, wie hinter ihr etwas in den Boden schlug. Dann war plötzlich wieder alles dunkel. Sie robbte verzweifelt den Hang hinauf, versuchte den großen Stein zu erreichen. Wieder ein Schuss - diesmal konnte sie den Einschlag der Kugel nicht hören. Santangelo schoss einfach nach Gehör - dorthin, wo er das Knirschen vermutete, das sie durch ihre panische Flucht verursachte.
Hinter dem Feldstein sackte sie kraftlos in sich zusammen und wartete. Sie konnte hören, wie er mit knirschenden Schritten den Hang heraufkam. Dann war plötzlich wieder alles still, bis sie erneut Schritte hörte, die sich jedoch von ihr entfernten. Riley hämmerte mit der Faust verzweifelt gegen den Stein. Da
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