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Totenwache

Totenwache

Titel: Totenwache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Jansson
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Abort bedeutet Fehlgeburt. Das heißt so«, erklärte Maria und empfand das als einen Teil ihrer Argumentation für ihre Befreiung. Die Augen verschwanden von der Luke.
    »Ivan, bist du noch da?« Ein sonderbarer Laut war von der Außenseite zu hören. Ein Lachen wie trockenes Laub im Wind kratzte an der Betonwand entlang. »Ivan! Geh nicht weg, Ivan! Du darfst mich hier nicht allein lassen. Erzähl, Ivan, erzähl, was damals auf Zypern passiert ist!«

38
    »Ich war jung, gutmütig und sträflich leichtsinnig. Die Welt wartete auf meinen tapferen Einsatz. Um mich der schönen Rosmarie würdig zu erweisen, begab sich der Löwenritter hinaus in die Hitze des Kampfes. Damals waren wir beinahe noch Kinder. Das Leben meinte es gut mit uns und wir genossen es. In Kyrenia kauften wir uns jeder einen Puzzlering, gleich beim ersten Mal, als wir auf der türkisch-zypriotischen Seite waren. Im Scherz waren wir die Ritter von König Artus, die Ritter der Tafelrunde. Einer für alle, alle für einen. Und so ergab es sich. Einer für alle! Mein Leben im Tausch gegen deren Leben, meine Gefangenschaft gegen deren Freiheit.
    Wir waren beinahe drei Monate auf Zypern gewesen, als Clarence vorschlug, dass wir noch einmal nach Kyrenia fahren sollten. Wir hatten Urlaub übers Wochenende, und ich hatte mir vorgenommen, nach Pafos zu fahren. Damals war ich sehr an Vögeln interessiert. Die Zyperngrasmücke und der Zypernsteinschmätzer sind Vögel, die nur dort vorkommen. Ich hatte mich auf den Ausflug gefreut. Wenn man Glück hat, sollte man auch Eleonorenfalken, Halsbandfrankoline und Steinsperlinge sehen. Ich hatte kein Glück. Die einzigen Vögel, die ich an dem Wochenende gesehen habe, waren volle Strandhaubitzen und Galgenvögel. Clarence war unwidersprochen der Anführer. Wir fuhren nach Kyrenia, Clarence, Odd, Mårten und ich. In einer Bar unten im Hafen feierten wir das Wochenende. Clarence bezahlte. Er hatte Geburtstag. Übrigens hatte er immer viel Geld bei sich. Ich habe nicht nein gesagt Er saß mir gegenüber. Wir tranken immer gleichzeitig. Die Musik dröhnte aus einer schlechten Lautsprecheranlage in das verräucherte Lokal. Clarence wurde nicht betrunken. Er bestellte immer mehr. Ich versuchte mitzuhalten. Es war so eine Art Wetttrinken. Die anderen versammelten sich um uns. Die Musik hörte auf. Ich kann mich erinnern, dass es heiß und verqualmt war. An Clarence’ schiefes Lächeln. Das Mädchen, das mit seinen großen schaukelnden Brüsten über seiner Schulter hing. Der blutrote Mund. Sie lächelte mich an. Clarence hatte einen Schweißtropfen an der Augenbraue hängen. Seine Augen waren schmale Schlitze. Mir wurde schlecht. Der Fußboden kam mir entgegen. Ich hatte Schmerzen in den Schultern. Mein Gesicht landete in einer Pfütze. Clarence hatte sein Bier auf den Boden geschüttet, ohne dass ich es gemerkt hatte. Welch eine Verschwendung!, dachte ich noch. Dann kann ich mich an nichts mehr erinnern.
    Am Morgen danach wachte ich in einer Zelle mit kahlen Wänden auf. Ein Loch im Fußboden, durch das man pinkeln konnte, war die einzige Annehmlichkeit. Kein Stuhl, keine Pritsche, keine losen Teile, die man zertrümmern konnte. Kakerlaken groß wie Streichhölzer krochen an den Wänden entlang. Ich hatte niemanden, mit dem ich sprechen konnte. Die Wächter waren an keinem Gespräch interessiert. Ich glaube, es hat zwei Wochen gedauert, bis ich verlegt wurde und erfuhr, dass ich wegen Rauschgifthandels angeklagt worden war. Meine Kameraden hatte niemand gesehen. Wahrscheinlich waren sie bereits am gleichen Abend in Nicosia über die Grenze gegangen.
    Im Gefängnis hat man Zeit zu überlegen, und ich brauchte nicht viele Tage, um mir ein Bild davon zu machen, was passiert war. Kleine Bruchstücke hier und da, ein zufälliges Wort, eine plötzlich eintretende Stille. Clarence immer mit seinem vielen Geld. Die handelten mit Rauschgift. Wer kontrolliert UNO -S oldaten, die die Grenze überschreiten, genauer? Es war ein fast risikoloses Unternehmen. Sicher wollte Clarence seinen Kontaktmann in der Bar im Hafen treffen, in der wir uns befanden. Aber irgendwas ging schief. Er muss gewarnt worden sein. Ich blieb zurück und habe die Rechnung bezahlt. Volltrunken und leicht hereinzulegen.«
    »Hast du diese Szene in der Goldenen Traube noch einmal durchgespielt?«, flüsterte Maria und merkte, wie die trockene Starre der Zunge die Worte entstellte.
    »Das weißt du also. Ich habe eine Weile darüber nachgedacht, und es sagte mir

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