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Totenwache

Totenwache

Titel: Totenwache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Jansson
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Hände zu einer Schale geformt, sich hinabgebeugt und sie mit kristallklarem Wasser gefüllt. Aber als sie die Hände hob, um zu trinken, sah sie, dass sie leer waren. Vendelas weiche Gestalt wurde mager und kantig. Der Duft des Zimts wich dem grässlichem Gestank nach Exkrementen. Im klaren Bild des Albtraums strich sich Ivan das weißgelbe Haar aus dem Gesicht. Maria bekam einen harten Fußtritt in die Seite.
    »Was machst du, Ivan?« Gustav war bestürzt, seine Augen wurden schmal. »Lass Maria!«
    »Hast du deinem Papa erzählt, dass du gesehen hast, wie ich Maria ins Auto getragen habe? Hast du das jemandem erzählt?«, fragte Ivan ruhig und zugleich drohend.
    »Nein, ich wollte es sagen, aber dann habe ich es vergessen. Papa hat mir ein neues Fahrrad gekauft.«
    »Bist du sicher, dass du nichts gesagt hast? Wenn du mir was vorlügst, schneide ich dir die Ohren ab!«
    »Bombensicher.« Gustav hielt sich beide Hände vor die Ohren und lächelte. Ivan war ein richtiger Spaßmacher. »Ich habe Durst, Ivan. Von Popcorn werde ich immer furchtbar durstig. Darf ich die Flasche aus deinem Auto holen? Igitt, wie das hier nach Scheiße stinkt. Hat sich wer in die Hose gemacht? Ist das ein Klo?«
    »Nein, geh du rein. Ich gebe dir die Flasche durch die Luke.«
    Ivan verschwand und kam wieder. Maria spürte, dass Gustav neben ihr saß. Er war warm und roch wie frisch geduscht.
    »Warum schläfst du hier?«, wunderte sich Gustav. Maria versuchte eine Antwort, aber ihre Stimme versagte, die Zunge saß wie festgeklebt am Gaumen. Sie sehnte sich nach Vendela und dem glitzernden Wasser. Der Durst war nicht auszuhalten. Die Augenlider scheuerten.
    »Ivan! Wir wollen zu Hause schlafen! Hier ist es nicht schön! Ivan!« Gustav stand auf und fasste an die Tür. Die war abgeschlossen. »Lass uns raus, Ivan! Wir wollen nicht hier drin sein! Ivan!!« Ein schleppendes Geräusch war vor dem Bunker zu hören. Immer undeutlicher und entfernter. Der Laut brach für eine Weile ab, und Ivans Augen erschienen in der Luke.
    »Das ist deine Schuld. Ich wollte dir nichts Böses tun. Aber jetzt musst du hier erst mal drin sitzen bleiben. Ich kann das Risiko nicht eingehen, dass du tratschst.«
    »Ivan, lass mich raus, Ivan. Ich sage es Papa, dass du doof zu mir gewesen bist.«
    »Da siehst du es. Schläft Maria?« Maria wollte den Kopf heben und antworten, aber sie schaffte es nicht. Auch gut. Ivans Schritte entfernten sich in der Nacht, und weit weg startete ein Automotor.
    »Willst du was trinken, Maria? Wir können spielen, dass dies unsere eigene Hütte ist, auch wenn es wie ein Misthaufen stinkt. Bist du krank? Ich kümmere mich um dich. Ich hab mich mal um eine junge Katze gekümmert, die war auch krank. Aber die ist später gestorben. Ich hab dir ja neulich schon gesagt, dass du dich warm anziehen musst. Man kann sich erkälten und krank werden, wenn man sich nicht warm anzieht, sagt Papa. Wir können ja spielen, dass das Wasser Medizin ist. Ich helfe dir beim Trinken. So, ja, und noch einen Schluck. Was bist du durstig! Hast du ganz furchtbar lange nichts getrunken? Soll ich dir was auf der Mundharmonika vorspielen? Du kannst deinen Kopf auf mein Knie legen, und dann lege ich die Jacke wie eine Decke über dich. Ist es gut so?«
    »Danke«, flüsterte Maria und fiel wieder in einen unruhigen Schlaf.

    Vendela war wieder da in dem Grenzland, wie ein stilles Streicheln, wie ein Duft nach Zimt. Ihr Lächeln war wie die Sonne. Regen fiel in großen lauwarmen Tropfen und schmolz auf der Haut. Sie gingen über die Wiese. Das Gras beugte sich taufrisch und weich unter ihren Füßen. Als sie an die äußerste Spitze der Aussichtsklippe kamen, hoben sie ab und glitten über die Kante. Das machte so viel Spaß, vom Wind getragen zu werden war so einfach. Maria breitete die Arme aus und ließ die milde Brise mit den Ärmeln spielen. Da unten in einem Bunker lag Marias Körper mit dem Kopf auf Gustavs Knie. Sie konnte ihr eigenes Gesicht sehen, sehen, dass sie schlief. Zusammen mit Vendela wurde sie über schöne Landschaften getragen, und ihr war leicht ums Herz und sie lachte Vendela zu, die ihr Haar mit langen weichen Strichen kämmte, genauso wie damals, als sie klein war. Nichts war mehr gefährlich. Alles schön und einfach. Siehst du, wie es da hinten hell wird?, fragte Vendela in der blauen Dämmerung. Dort wollen wir hin. Durch die Helligkeit. Hörst du die Musik? Hörst du, es knistert wie Wunderkerzen. Maria hörte zu, und alles um sie

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