Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Totenwache

Totenwache

Titel: Totenwache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Jansson
Vom Netzwerk:
staatlichen Alkoholladens gewesen, darauf konnte sie getrost ihre Leber verwetten, und jetzt wurde ihr auch noch diese Geschichte mit dem Hühnerhabicht serviert. Andererseits, wenn man auch noch in der Freizeit kleinlich alle Vergehen in seiner Umgebung zur Anzeige brachte, wäre man schnell sozial isoliert und nervlich am Ende.
    »Gustav hat erzählt, dass du Schlosser bist, Egil.«
    »Ich habe zwei Berufe. Eigentlich bin ich Fischer. Wir haben unten in der Bucht einen kleinen Kutter, Marion II. Ivan und Gustav fahren mit mir raus. Aber von der Fischerei kann man nicht leben. Nicht, wenn der Dorsch quer durchs Land gekarrt wird, um ihn zu vierkantigen Klötzen zu verarbeiten, und er dann auf dem gleichen Weg quer durchs Land zurück zu den Kunden kommt. In den letzten Jahren ist es hier draußen auch nichts mehr mit dem Fisch. Stell dir vor, als Gustav klein war, haben wir jede Menge Lachse gefangen. Jetzt habe ich schon seit fünfzehn Jahren keinen Lachs mehr im Kronviken gesehen. Mit dem Dorsch ist es auch bald zu Ende, und weiter runter im Süden haben sie Probleme mit der Algenblüte, einem rosalila Matsch, der auf die Strände zutreibt. Es sieht so aus, als ob die Ostsee kotzt. Wir selbst haben sie krank gemacht. Nein, zum Glück habe ich daneben die Schlosserei, sonst würden wir nicht rumkommen.«
    »Und du, Ivan, was machst du?«, wollte Krister wissen, und anpassungsfähig, wie er war, hatte er sich ebenso breitbeinig hingesetzt wie sein Gastgeber und sprach im gleichen Tonfall.
    »Ich bin unfreiwillig Nerzfarmer geworden. Als mein Großvater den Löffel abgegeben hat, habe ich die Farm geerbt. Ich habe versucht, sie zu verkaufen, aber es ist schwer, einen Käufer zu finden. Besonders nach dem Sprengstoffattentat in der Schlachterei am Neujahrstag. Ich habe bis jetzt nicht gehört, dass sie jemanden deswegen festgenommen hätten. Aber man verdächtigt Tierschutzaktivisten.« Maria versetzte ihrem Mann unter dem Tisch einen Tritt, damit er nicht sofort seiner vom Schnaps gelockerten Zunge freien Lauf ließ und zum Besten gab, dass seine Frau bei der Polizei war. »Sogar das Haus, also das Heim meiner Großeltern, ist schwer an den Mann zu bringen. Die Nerzfarm ist erst später dazugekommen, die Gebäude gehören also zusammen. An dem Haus hängen so viele Erinnerungen.«
    Maria blickte Ivan verwundert an. Er war jetzt wirklich gesprächig geworden, obwohl er zu Beginn kaum auf Fragen geantwortet hatte.
    »Die Haustür am vorderen, dem feinen Eingang hat verschiedenfarbiges Glas in den Vierecken: blaue, rote, gelbe, grüne und ungefärbte Scheiben. Als ich klein war und die Sonne durch das Fenster schien, fielen die Farben auf den Fußboden. Das sah aus wie eine große Palette. Wenn man sich ins Licht stellte, konnte man sich aussuchen, ob man eine rote Hand oder ein grünes Gesicht oder vielleicht einen blauen Fuß haben wollte. Man konnte aber auch in den Garten hinaussehen. Die Wirklichkeit beeinflussen, indem man die Betrachtungsweise wählte. Wir hatten ein weißes Huhn. Dieses Huhn glaubte sicher, es sei weiß. Konnte es sich meinetwegen einbilden, aber ich habe mir ausgesucht, wie ich es sehen wollte. Blau oder lila, vielleicht rot, aber niemals weiß. Dann wird man erwachsen, und nichts wird so, wie man sich das mal vorgestellt hat. Die meisten Alternativen schrumpfen wie Rosinen. Später, wenn man Bilanz zieht, kann man darüber nachdenken, ob man überhaupt eine Wahl hatte.«
    Krister war zu Tränen gerührt. Seine Augen wurden immer feucht, wenn jemand ein Gedicht vorlas oder etwas Hübsches sagte, insbesondere wenn er schon etwas getrunken hatte.
    »Du, Ivan, ich glaube, da ist jemand draußen beim Nerzhaus.« Egil schob den blau gestreiften Nylonvorhang mit seiner kräftigen Hand zur Seite und spähte hinaus in den Regen. »Tatsächlich, da draußen ist jemand.«

7
    Dass Ivan in einem Fuchseisen festsaß, konnte man sich leicht vorstellen, als man sein Gebrüll hörte. Er stand hilflos auf der anderen Seite des Baches, der zwischen den beiden Gehöften dahinfloss. Krister kam ihm als Erster zu Hilfe. Mit einem kräftigen Griff öffnete er die Trittfalle. Die Zähne waren tief in Ivans Fußgelenk eingedrungen. Das Blut färbte den Strumpf rot, mischte sich mit dem Regenwasser der Pfütze. Ein Blitz fuhr über den Himmel und beleuchtete einen frisch geschriebenen Text an der roten Wand des Nerzstalles. In weißer Sprayfarbe konnte man lesen: MÖRDER, TIERQUÄLER ! In großen kantigen

Weitere Kostenlose Bücher