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Totenwache

Totenwache

Titel: Totenwache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Jansson
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eine lebendige Kanonenkugel fuhr es unter das Sofa und begann an den Möbelfüßen zu nagen. Kriminalinspektor Tomas Hartman hatte sich den Tod des kleinen Tieres häufiger gewünscht, als er sich erinnern konnte. Peggy beherrschte inzwischen das gesamte Familienleben. Nachdem die Tochter ausgezogen war und sie ihr über alles geliebtes Meerschweinchen geerbt hatten, war nichts mehr so wie früher. Die Tochter war der festen Überzeugung gewesen, dass es für Peggy nichts Besseres gab, als frei in der Wohnung umherzulaufen. Keine Gitter, keine Käfige durften den Freiheitsdrang ihres kleinen spritzigen Lieblings einschränken. Und auf eine nicht zu erklärende Weise hatte sich der Rest der Familie damit abgefunden. Wegen Peggy kaufte er sich auch keinen neuen bequemen Sessel. Das wäre eine sinnlose Geldausgabe gewesen, solange die Pestratte Peggy mit Freuden die Möbel annagte.

    Während des Tages hatten Hartman und Arvidsson nach dem Ursprung des weißen zusammengerollten Taschentuchs mit dem leichten Duft von Äther gefahndet, das man auf dem Parkplatz der Goldenen Traube gefunden hatte, an der Stelle, an der der BMW gestanden hatte. In Kronköping gab es zwei Apotheken: die »Lilie« unten am Hafen, in der Hartmans Frau Marianne als Apothekerin arbeitete, und die »Anemone«, die auf der Hauptstraße neben dem Kiosk lag. Marianne wusste sicher, dass sie irgendwann während der Woche Äther an einen jungen Mann und seinen kleinen Sohn verkauft hatte. Die wollten aus Rizinusöl und Äther Treibstoff für einen Modellmotor machen. Der Kleine war aufgeregt gewesen und wollte die Tüte unbedingt selbst tragen. Ein Kollege von Marianne hatte in der gleichen Woche ebenfalls Äther verkauft, und zwar an einen Mann mit Bartstoppeln, zerknitterter Kleidung und fettigen strähnigen Haaren. Der Mann hatte gleichzeitig ein Rezept abgegeben. Marianne konnte sich noch an seinen Nachnamen erinnern; weil sie überlegt hatte, ob der Mann wohl mit einem ehemaligen Mitschüler von ihr verwandt war. Er hieß Trägen, Per Trägen. Diesen Namen im Telefonbuch zu finden war nicht besonders schwer gewesen. Die Adresse des Mannes war Videvägen 4. Das verrufene Wohngebiet im Osten der Stadt. Hartman und Kriminalinspektor Arvidsson hatten sich sofort auf den Weg dorthin gemacht. Arvidsson, der viermal in der Woche Krafttraining machte, war in bester physischer Verfassung, und dadurch fühlte Hartman sich älter und untrainierter, als es sonst der Fall gewesen wäre. Sich so etwas einzugestehen ist nicht angenehm. Eine Trainingsstunde in der Woche wäre vorstellbar gewesen, aber er dachte gar nicht daran, deswegen freiwillig die späten Abendessen mit seiner Frau zu opfern. Sie feierten jeden Abend, dass die Töchter nach einer turbulenten Zeit ausgezogen waren. Vielleicht wurde daraus der erste Schritt zu einer soliden mündigen Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern. Hartman wollte das nur zu gern glauben. Zur Zeit genoss er allerdings die Ruhe.

    Videvägen war früher einmal ein neu gebautes und hübsches Wohngebiet gewesen, aber die Mieten hatten der Bevölkerung nicht geschmeckt. Als sich bei der Stadtverwaltung Probleme mit der Vermietung häuften, wurden die Ansprüche an die Mieter heruntergeschraubt, und so verkam der Stadtteil nach und nach. Immer mehr Sozialfälle zogen ein, diejenigen, die ihre Miete selber zahlten, suchten sich andere Wohnungen, und damit war das Schicksal des Stadtviertels besiegelt. Nicht mal die Stadtverwaltung konnte den Schein länger wahren. Die gelb verputzten Fassaden lagen unter einer dicken Schicht aus Schmutz, die Waschküchen waren teilweise außer Funktion und die Spielplätze stark heruntergekommen. Im Treppenhaus stolperte Arvidsson beinahe über eine weiße Maus, die sich ihren Weg in die Freiheit suchte. Einen Augenblick lang dachte Hartman darüber nach, den Fahrstuhl in den dritten Stock zu nehmen, in dem Per Trägen laut der blauen Tafel im Eingang wohnen sollte, überlegte es sich aber sofort anders, als er die Fahrstuhltür öffnete und ihm der Gestank von Urin entgegenschlug, der in der Hitze dampfte. Alle Fahrstuhlknöpfe waren schwarz und bis zur Unleserlichkeit mit Feuerzeugen abgefackelt. Arvidsson nahm die Treppen in schnellen Sprüngen. Hartman kam mit schweren Schritten langsamer hinterher.
    Per Trägen öffnete die Tür vorsichtig einen Spalt, nachdem sie in der Annahme, dass die Klingel nicht funktionierte, eine ganze Weile dagegengehämmert hatten. Sein ungepflegtes

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