Totenwache
Schweiß floss ihm über den Hemdkragen. »Die Frau meinte, ich müsste mich so verkleiden, wenn ich zur Polizei gehe, sie hat nicht nachgegeben«, erklärte er zu seiner Entschuldigung.
Als Maria um genau 15.32 Uhr den Aufenthaltsraum betrat, diskutierten Ek und Arvidsson schon wieder endlos. Die kulinarische Debatte hatte sich diesmal zu einer lautstarken Diskussion über das Autofahren und Opfergaben an Götter entwickelt. Wie sie darauf gekommen waren, war hinterher für Uneingeweihte unmöglich nachzuvollziehen. Maria ließ sich nieder und wartete darauf, dass die Diskussion sich dem Ende näherte.
»Die Menschen haben zu allen Zeiten und in allen Kulturen ihren Göttern geopfert. Wir tun das auch.«
»Welchen Göttern opfern die Menschen denn deiner Meinung nach heutzutage?«
»Dem Mammon in unterschiedlichster Form. Dem Markt, wenn du so willst. Schnelle Transporte von Waren erfordern mehr Autos auf den Straßen. Jedes Jahr fordert das Ungeheuer Verkehr 600 Menschenleben, und wir halten das offenbar für ein angemessenes Opfer zum Ausgleich für die Gaben, die die Götter bescheren. Das Vertrauen in den Markt ist wichtig. Aus den heiligen Börsendaten können wir die Stimmung der Götter ablesen.«
»So kann man nicht argumentieren!«
»Warum nicht? Der Unterschied zwischen den Menschopfern heutzutage und denen damals ist, dass unsere zufällig ausgewählt werden. Wir wissen nicht im Voraus, wer im Verkehr sterben muss, wer durch Umweltgifte Krebs bekommt oder wer durch den Stress am Arbeitsplatz zusammenklappt. Wenn man eine Liste der Opfer ein Jahr im Voraus veröffentlichte, würde niemand so was akzeptieren. Aber wenn es zufällig geschieht, schließen wir die Augen. Nach dem Motto: Mich wird es schon nicht treffen.«
»So kann man nicht argumentieren!« Ek stand aufgeregt mit den Händen in den Hosentaschen da und wankte mit dem Oberkörper wie ein Pendel.
»Was man sieht, richtet sich danach, welche Perspektive man wählt. Steht man mit dem Gesicht zur Wand, bekommt man eben nur sehr wenig mit.«
»Und wenn man ständig in die Tageszeitung starrt, riskiert man, dass man sich die Nase einklemmt«, entgegnete Ek und kniff Arvidsson in die Nase, denn ihm fehlten die Argumente. In diesem Augenblick trat Ragnarsson ein, und alle wandten sich ihm in gespannter Erwartung zu.
»Nein, es gibt keinen Kaffeeautomaten!«, sagte er fauchend, nachdem er sie einen Moment lang angestarrt hatte und sich seine eigene Meinung über den Gesichtsausdruck jedes Einzelnen gebildet hatte. »Wir haben das früher schon durchgesprochen, und wie ihr wisst, halte ich das für eine absolut sinnlose Investition. Unnötig und zeitraubend. Stellt euch nur mal vor, was das für ein Gelaufe gibt, wenn ständig Kaffee bereitsteht. Es ist doch nichts dabei, wenn wir es wie immer machen, nämlich den Wasserkocher benutzen. Ich sage euch, diese Automaten sind der reine Schwindel. Ich glaube, die Kaffeeproduzenten beteiligen sich an den Werbungskostenzahlen, denn in solche Ungetüme geht viel mehr Pulver rein.«
»Ist das wirklich so?«, fragte Ek.
»Als ich neulich im Supermarkt einen solchen Apparat ausprobierte, habe ich gesehen, was es damit auf sich hat. Erst habe ich meinen Fünfer reingelegt, dann habe ich auf den Knopf gedrückt. Daraufhin fiel er in den Kasten und der Kaffee kam herausgeflossen.«
»Und dann?«, drängte Ek, um Ragnarsson auf die Sprünge zu helfen, denn der war mit der Handfläche gegen die Kühlschranktür gelehnt stehen geblieben. Die dicht beieinander sitzenden Augen starrten irritiert auf die Kühlschrankmagneten.
»Und dann?«
»Danach kam der verdammte Becher«, rief Ragnarsson aus und richtete in schneller Folge die übrigen fünf Magneten so aus, dass sie mit dem übereinstimmten, der versetzt worden war. Ein Schachzug, der danach zu ewigen Diskussionen zwischen Ek und Arvidsson führte.
16
Arvidsson hatte einiges über die Geschäfte von Clarence Haag zu berichten.
»Ich habe nochmal eine kleine Tour nach Videvägen gemacht und bei Mårten Normans altem Freund, dem Äthermann und Rattenjäger Per Trägen vorbeigeschaut. Zu Anfang war er nicht besonders mitteilsam, aber das gab sich, als ich ihn ein bisschen in den Schwitzkasten genommen habe. Rein mental natürlich. Warum Gewalt anwenden, wenn man nur erwähnen muss, dass es nach Fusel riecht? Ich habe darauf hingewiesen, dass das Schwarzbrennen seit 1860 verboten ist. Er versprach, sich das zu merken. Danach wurde er sozusagen etwas
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