Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Totenwache

Totenwache

Titel: Totenwache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Jansson
Vom Netzwerk:
einzuschlafen hat was für sich, versuchte sie sich einzureden. Mit einem brennenden Gefühl hinter den Augenlidern rieb sie den dicksten Staub von den Scheiben und blickte hinein. Schnell konnte sie feststellen, dass der alte Jacob noch wie vorher auf dem Küchentisch lag. Maria klopfte an die Fensterscheibe. Ein schwaches jämmerliches Klopfen, das von dem heulenden Wind hinweggetragen wurde. Jacob bewegte sich nicht. Maria hämmerte so fest sie sich traute, ohne die Scheibe zu zerbrechen.
    Arvidsson fasste an die Tür. Die war abgeschlossen. Seine Hände tasteten über den Türbalken und unter die flachen Steine am Eingang. Aber da befand sich kein Schlüssel. Es blieb Arvidsson nichts anderes übrig, als das Fensterglas neben der Tür einzuschlagen, den Riegel zu lösen und die Tür zu öffnen. Ein grässlicher Gestank von Verwesung schlug ihnen entgegen. Maria trat langsam nach Arvidsson ein und sah sich um. Keine Zeichen von Gewaltanwendung. Alles sah so aus, wie sie es in Erinnerung hatte: die Petroleumlampe an der Decke, das Bettsofa mit einer Tagesdecke aus gehäkelten rechteckigen Lappen, ordentlich und glatt gemacht. Die Kaffeekanne auf dem Ölofen, ein wenig angebrannt, als ob sie über dem Feuer gestanden hatte. Das große Bild mit Jesus, der den Sturm abwendet, und der Eckschrank mit der Dalamalerei, in dem Jacob seine lebensnotwendigen Habseligkeiten aufbewahrte, seinen Kautabak und den kleinen Klaren für den Feiertag. Die Netze hingen wie üblich an der einen Längswand, und der Bootshaken stand in der Ecke neben der Zinkwanne. Vorsichtig, ohne etwas zu berühren, machte Maria die letzten Schritte auf den Küchentisch zu, an dem Jacob vornübergebeugt saß. Beinahe wäre sie in die Pfütze getreten, Blut war an dem Stuhlbein heruntergelaufen und hatte eine Lache auf dem Fußboden gebildet. Die Brille lag daneben, ein Glas war zerbrochen. Maria verfolgte den Weg des Blutes über das blaue Hemd, unter einem Arm war ein geronnener Fleck. Mit spitzen Fingern berührte sie Jacobs Mütze und hob sie hoch, bis der Hinterkopf zu sehen war. Ein Fliegenschwarm kam ihr mit dem süßlichen Geruch des Bluts entgegen. Mit Entsetzen sah Maria, dass die Fliegen bereits kleine weiße Eier in die offene Wunde gelegt hatten. Eine Fliege setzte sich summend auf ihre Wange, und sie zuckte erschreckt zusammen, ohne die Augen von dem Toten abwenden zu können, der trotz der grauenhaften Wunde am Hinterkopf mit entspannten Gesichtszügen auf dem Tisch ruhte. Die Augen und die Nase hatten eine dunkelblaue Farbe angenommen, die man von außen hätte sehen können, wenn die Glasscheibe nicht so schmutzig gewesen wäre.
    »Wie sieht es aus?« Arvidssons Stimme riss sie aus ihren Gedanken.
    »Er ist tot! Erschlagen! Eine große Wunde am Hinterkopf.«
    Schnell wandte sich Maria um und ging aus dem Schuppen. Jetzt mussten die Techniker an die Arbeit. Sie merkte die Übelkeit in ihrem Hals. Zeitweise wurde ihr schwindelig.
    »Was ist mit dir, geht’s dir schlecht?«, fragte Arvidsson, als Maria im Gras gelandet war. Da konnte sie sich nicht mehr beherrschen. Tränen flossen ihr über die Wangen. Maria lehnte sich gegen Arvidssons ausgestreckten Arm und verbarg ihr Gesicht.
    »Ich hab mir nicht vorstellen können, dass er tot ist. Ich hab doch geglaubt, er schläft. Dreimal bin ich hier draußen vorbeigegangen, ohne mir Gedanken zu machen«, schniefte sie. »Ich war so mit meinen eigenen Schwierigkeiten beschäftigt, dass mir gar nicht aufgefallen ist, dass Jacob immer in der gleichen Stellung am Tisch saß. Heute Morgen hab ich noch überlegt, ob wir eine Tasse Kaffee zusammen trinken sollen, und da war er schon tot.«
    »Das ist doch nicht deine Schuld. Du musst dir deswegen keine Vorwürfe machen. Du hättest sein Leben sowieso nicht retten können. Es sieht tatsächlich so aus, als ob er schläft, finde ich.« Arvidsson drückte sie an sich, die Frau, in die er gegen seinen Willen verliebt war. Er hoffte nur, dass sie nicht hörte, wie sein Herz immer schneller schlug, oder bemerkte, wie das Blut in seinen Ohren rauschte, als er sich mit hochrotem Kopf über ihr Haar beugte. Er roch ihren Duft und spürte sie ganz nah. Er musste seine ganze Willenskraft aufbieten, um sie nicht zu küssen, als sie ihm jetzt ihr Gesicht zuwandte. Hin und her gerissen, biss er sich in die Unterlippe.
    »Ich glaube, ihm ist eine Axt in den Hinterkopf geschlagen worden. Die Wunde war groß und breit. Die Fliegen …« Maria holte Luft, um den Satz

Weitere Kostenlose Bücher