Totenwache
in Kronköping galt das Gleiche. Wie viele von ihnen allein in ihren Wohnungen saßen, eingesperrt mit den sie bedrohenden Stimmen, unfähig zu sozialen Kontakten, durch ihre Krankheit nicht in der Lage, Termine beim Arzt oder bei Behörden einzuhalten, konnte man aus den Anrufen bei der Polizei nur ahnen. Die Reform sollte ihnen allen eigene Wohnungen verschaffen, und die Überlegung dahinter war sicher richtig, allerdings nur, wenn sie die Unterstützung und Hilfe zu Hause in dem Umfang erhielten, wie sie sie tatsächlich benötigten. Aber die Gelder, die die Städte für diese Maßnahmen erhielten, wurden nicht zweckgebunden gezahlt und verschwanden im nicht gedeckten Gesamtetat. Vor einiger Zeit hatte Maria in einer Fernsehsendung die neuesten Zahlen erfahren. Ein Drittel der Patienten, die eigene Wohnungen erhalten hatten, waren inzwischen verstorben. Ein Drittel! Es gibt immer jemanden, der bezahlt. Angehörige, nicht selten alte Mütterchen, tragen die Last, wenn ihre erwachsenen Kinder in Armut leben. Was geschieht, wenn es nicht genügend Plätze in den Therapieeinrichtungen gibt? Jemand anderes bezahlt. Mårten Normans Mutter, die verletzt in der orthopädischen Abteilung saß, zum Beispiel. Es gibt immer jemanden, der bezahlt, immer.
Hartman sah müde und schlecht gelaunt aus. Vielleicht lag das an seinem missglückten Versuch, sich an magere Kost zu gewöhnen. Ganz einfach zu viel zugemutet oder Mangel an Überzeugung, überlegte Maria und setzte sich zu den anderen in den Besprechungsraum.
»Wir haben Mårten Normans vorläufigen Obduktionsbefund bekommen.« Hartman blätterte wütend in dem Papierstapel vor sich und zuckte gereizt mit den Schultern, als er nicht fand, was er suchte. »Mårten Norman ist nicht ertrunken!«
»Nicht ertrunken? Was hat er dann mit dem Kopf unter Wasser gemacht?«, fragte Himberg und rieb seine runde Kartoffelnase.
»Das Lungengewebe sah normal aus«, unterbrach Erika. »Ertrinkt jemand, dann füllen sich Lungen und Magen mit Wasser. Man kann geplatztes Gewebe sehen. Mårten Normans Lungen waren normal. Er hatte auch kein Wasser im Magen. Mårten Norman ist also gestorben, ehe er im Wasser landete. Das bestätigt den Verdacht, dass hier ein Verbrechen vorliegt. Wäre die Verwesung weiter fortgeschritten gewesen, hätte man das nicht mehr feststellen können. Er tauchte rechtzeitig wieder auf, kann man sagen. Der Körper weist keine Anzeichen äußerer Gewalt auf, keine Verletzungen oder Einschüsse. Man fertigt gerade eine Giftanalyse an. Wie wir vorher schon angenommen haben, ist der Tod vor etwa einer Woche eingetreten. Aber das ist nicht das Seltsamste daran. Am auffälligsten ist, dass er einen Ring verschluckt hat. Den haben wir heute Morgen in einer Tüte bekommen.« Sie machte eine Plastiktüte auf und schüttelte eine Puzzlering auf den Tisch. Maria lehnte sich vor, um ihn genauer anzusehen. Ein vierteiliger Puzzlering aus Gold oder einem goldhaltigen Metall. Ein Axtring, wie Mayonnaise gesagt hätte.
»Was glaubt ihr, was das für eine Art Ring ist?«
»Wir können den Juwelier in Bredströms Schmuckgeschäft ja mal fragen, der müsste das wissen. Ich glaube, UNO-Soldaten tragen solche Ringe. Aber vielleicht werden die ja bei Bredströms ganz normal über den Ladentisch verkauft, was weiß ich.« Maria wusste genau, dass ihnen Mayonnaise ein solches Stück gezeigt hatte.
»Mårten hat UNO-Dienst geleistet, stimmt’s?«, fragte Hartman und rieb sich das Ohr.
»Dieser Mayonnaise auch. Das kam in aller Deutlichkeit zum Ausdruck, als ich ihn vernommen habe.« Arvidsson errötete leicht und konzentrierte sich auf einen Sprung in seiner Kaffeetasse. »Er hat mir seine ganze Lebensgeschichte erzählt. Dann versuchte er, mir einen alten Volvo 240 aufzuschwatzen.«
»Kauf ihn!«, bat Maria und drückte Arvidssons Arm.
»Warum denn bloß? Jeder weiß doch, wie diese alten Volvos rosten.« Arvidsson strich sich die Haare nach hinten und faltete die Hände im Genick, um Marias Versuch eines Körperkontakts zu entgehen.
»Weil das Auto in meinem Garten steht!«
»Das reicht als Verkaufsargument nicht, tut mir Leid. Frau Mayonnaise hatte offenbar Zoff mit Jacob Enman. Sie nannte ihn alter Gauner, bevor sie wusste, dass er nicht mehr lebt. Jacob hat wohl ihrem Sohn, dem kleinen Engel, im Frühjahr die Ohren lang gezogen, als er Steine auf eine Eidergans schmiss, die auf ihrem Nest saß.«
»Das wundert mich kein bisschen. Das ist ein ziemliches Ekel«, sagte Maria
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