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Totenwache

Totenwache

Titel: Totenwache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Jansson
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Schicksal vorbestimmt war, wenn die Fäden des Lebens nur die Schnüre einer Marionette waren? Wenn man lediglich eine Figur in einem vorbestimmten Spiel war? Weshalb sollte man dann Mörder bestrafen, wenn ihnen vorbestimmt war, Morde zu begehen, ohne selbst entscheiden zu können? Eigentlich müsste denjenigen, die eine so grausame Rolle zu spielen hatten, dazu größter Respekt und viel Mitgefühl entgegengebracht werden. Ganz abwegig war Ivans Gedankengang nicht. Wir werden unter unterschiedlichen Voraussetzungen geboren. Aber ein Mensch ist niemals ohne Alternativen, wie groß oder klein sie auch sein mögen. Maria warf einen schnellen Blick auf die Uhr und stand hastig von der Kirchenbank auf.
    Die alte Frau zupfte Unkraut auf dem Familiengrab neben dem Grabstein, der Marias Interesse geweckt hatte. Sie grüßte ein wenig schüchtern, knickste beinahe und blickte den Hügel hinunter. Maria sah, wie sie ihre von der Erde grauen Hände hinter ihrem Rücken verbarg und mit offenem Mund einen Schritt auf sie zu machte. Es schien, als ob sie etwas hatte sagen wollen, es sich dann aber doch anders überlegt hatte.

23
    Gudrun rief ihnen zu, dass jetzt Kaffeepause sei. Waren sie schon zu Hause? Die Kinder konnten doch sonst nie lange genug am Strand sein, auch wenn heute das Wasser etwas zu kalt zum Baden war. Linda erzählte mit dem Mund voller Zuckerkuchen, dass sie einmal untergetaucht war, dass Emil aber nur die Zehen hineingetaucht hatte, so viel konnte man jedenfalls mit ein wenig gutem Willen verstehen, wenn man ihre Sprechweise kannte.
    »Aber da waren doch Quallen!«, schrie Emil.
    »Na und, was macht das?«, entgegnete Linda höhnisch.
    »Onkel Egil, über den Oma sich geärgert hat, hat gesagt, dass sind Einlagen für Büstenhalter, die aus Amerika angeschwommen kommen. Die sind ganz eklig!« Emil zitterte am ganzen Körper, wie er da so in seinen Bademantel gewickelt auf der Gartenbank saß.
    »Silikon!«, ergänzte Linda mit Kennermiene.
    »Ja, wenn die Frauen in Amerika baden, dann hauen die Silikone ins Meer ab und schwimmen nach Schweden, das kannst du dir doch vorstellen!« Krister musste so lachen, dass ihm der Kaffee im Hals stecken blieb.
    »Und darüber hat sich Großmutter geärgert?«, fragte er.
    »Nein, sie hat sich geärgert, weil Onkel Egil sie angestarrt hat, als sie sich umgezogen hat. Ihm sind die Augen aus dem Kopf gefallen, hat Oma gesagt. Gustav hat nicht geguckt, er schlief. Weißt du, was Oma da gemacht hat?« Krister schüttelte den Kopf und bemerkte erstaunt, dass Gudrun ein wenig rot wurde und ihr Mund sich zu einem Ungewitter zusammenzog. Linda lachte und fiel dabei beinahe von der Bank.
    »Ich wusste gar nicht, dass ihr euch kennt. Ich habe ihn ordentlich ausgeschimpft und ihn gefragt, ob er noch nie ein Paar wollene Unterhosen gesehen hat.«
    »Das hat er sich wohl auch gefragt, denn danach gingen er und Gustav nach Hause. Sicher war er hungrig«, erklärte Emil und streckte sich nach einem weiteren Stück Zuckerkuchen. Linda kroch auf Arturs Knie. Sie fror ein wenig. Das lange blonde Haar hatte ihr Kleid auf dem Rücken völlig durchnässt. Emil kletterte auf Gudruns Knie. Seine kurz geschnittenen Haare waren trocken, und eigentlich fror er nicht. Ihm ging es mehr um die ausgleichende Gerechtigkeit. Krister stöhnte. Wann hörten Eltern auf, peinlich zu sein?
    Artur wollte gerade etwas sagen, als das Telefon in der Küche klingelte. Ehe Gudrun aufgestanden war, hatte Maria schon den Hörer in der Hand. Aber die Neugier der Frau kannte keine Grenzen. So sicher wie der Tag der Nacht folgt und der Sommer dem Frühling, stand die Schwiegermutter Sekunden später mit ein paar Kaffeetassen als Vorwand für ihre Aufdringlichkeit in der Küche.
    »Ich bin’s. Sie müssen sofort kommen! Bitte!«, schniefte Rosmarie. »Die haben mir gesagt, dass Sie erst nachmittags zur Arbeit fahren. Könnten Sie nicht hereinschauen, wenn Sie hier vorbeifahren? Es hört mir ja kein anderer zu.«
    »Was ist denn passiert?« Maria machte eine abwehrende Handbewegung zu ihrer Schwiegermutter, die immer näher an sie herankam und an einem kaum sichtbaren Fleck auf dem Küchentisch herumwischte. Gudrun übersah ihre Geste geflissentlich und nahm die Teller aus der Spüle, leise und vorsichtig, damit sie ja kein einziges Wort versäumte.
    »Dies ist ein privates Gespräch, lässt du mich bitte eine Weile allein?«, sagte Maria beherrscht. Gudrun verzog den Mund und ging widerwillig hinaus zu den anderen an

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