Totenwache
abwechselnd wachend am Küchentisch. Wir kochen Kaffee, um uns wach zu halten. Wie lange soll das noch dauern? Wir leben in einem Gefängnis! Was tut die Polizei, um ihn zu finden? Wie schnell ist die Polizei hier, wenn wir den Alarm auslösen? Es dauert mindestens dreißig Minuten, will ich mal annehmen. Was kann in einer halben Stunde alles passieren? Und dann, wenn ihr ihn erwischt, wie lange bleibt er eingesperrt, bis er Urlaub bekommt und meine Tochter totschlägt?« Konrad atmete schwer. Ein zischender Laut folgte jedem Atemzug. Die Lippen nahmen eine bläuliche Farbe an. Er tastete nach einer Dose in der Tasche und steckte sich eine Nitroglyzerintablette unter die Zunge.
»Wir halten es nicht mehr länger aus.« Rosmarie blickte ihren Vater ängstlich an. Maria schossen die Tränen in die Augen. Sie kam sich hilflos vor. In Sicherheit zu leben sollte eigentlich zu den Grundrechten der Menschen zählen. Dass ein herzkranker alter Mann die Nächte hindurch wachen musste, um seine misshandelte Tochter vor weiteren Übergriffen zu beschützen, war unakzeptabel. Aber es fehlten die Mittel. Sie reichten nicht mal für die Fälle, bei denen Männer verurteilt worden waren und Besuchsverbot hatten. Und immer wieder passierte, was niemals hätte geschehen dürfen. Die effektivste Möglichkeit, bei den Mitteln, die ihnen zur Verfügung standen, wäre gewesen, Männern, die ihre Frauen schlugen, elektronische Fußfesseln anzulegen.
»Bis wir Clarence haben, sollten Sie sich vielleicht mit dem Frauenhaus in Verbindung setzen. Das ist das Beste, was mir gerade in den Sinn kommt«, schlug Maria unsicher vor. »Wissen Sie eigentlich, dass Clarence jeden Monat große Summen an einen Mann gezahlt hat, der Mårten Norman heißt?«
»Ich habe keinen Einblick in die Geschäfte von Clarence. Nein, das wusste ich nicht.« Rosmarie stand auf und bürstete sich die Knie ab. Immer noch war ihr Blick auf die tote Katze gerichtet.
»Mårten Norman und Clarence haben gleichzeitig auf Zypern bei der UNO gedient. Am ersten Montag in jedem Monat treffen sich die UNO-Soldaten im Engelen. Himberg fuhr gestern Abend hin. Er hat Sie nicht angerufen und gesagt, was dabei herausgekommen ist? Er hat es mir versprochen.«
»Wir haben nicht das Geringste gehört!«
»Dann möchte ich mal telefonieren und deswegen nachfragen. Himberg ist vielleicht über Nacht in Stockholm geblieben.«
»Wenn Clarence dort nicht erschienen ist, wenn sie ihn nicht festgenommen haben, was macht ihr dann?«, keuchte Konrad, immer noch außer Atem nach dem Spaziergang.
»Wir verfolgen weiter jede Spur, die uns zu ihm führen kann. Geben sein Foto an die Medien und bitten die Bevölkerung um Hilfe. Sie wissen von keinem Sommerhaus oder Ähnlichem, wo er sich aufhalten kann? Ein Hotel, wo er öfter übernachtet?«
»Nein, wir haben mal darüber gesprochen, ein Gehöft zu kaufen, aber daraus wurde nichts. Wir haben keinen so großen Bekanntenkreis. Ich habe bereits alle infrage kommenden Leute angesprochen. Odd habe ich sicher schon zehnmal angerufen und die Sekretärin in Haags Maklerbüro auch häufiger. Die wundern sich genauso wie ich.«
Maria wählte Hartmans Nummer und musste eine ganze Weile warten, bis sie die wohlbekannte Stimme hörte. In wenigen Worten berichtete sie über die tote Katze und die Buchstaben, die auf die Brücke gemalt worden waren. Hartman versprach, Erika zu schicken, damit sie die rote Farbe untersuchen konnte. Himberg war über Nacht in Stockholm geblieben, aber jetzt war er auf dem Weg nach Hause. Kein Clarence Haag war im Engelen erschienen. Aber Himberg hatte, Hartman zufolge, ein ausführliches Gespräch mit Odd Molin geführt.
24
Auf dem Weg zur Wache hörte sich Maria mit einem Ohr die Nachrichten an. Neue Kürzungen wurden für den öffentlichen Dienst angekündigt, Grund waren die gigantischen Auslandsschulden. Kaum zu glauben, dass Schweden noch Ende der Siebziger einen Budgetüberschuss gehabt hatte. Jetzt kündigte man neue Sparmaßnahmen an, um die Ausgaben der Städte in den Griff zu bekommen. Was geschieht, wenn sich die Unterstützungen für die Bedürftigsten in nichts auflösen? Solche Verpflichtungen entfallen ja nicht, nur weil der Staat und die Städte zahlungsunfähig werden. Irgendwer muss auf die eine oder andere Weise immer bezahlen. Maria dachte an die Menschen, die sie im vorigen Winter getroffen hatte, die in Wohnwagen lebten, seitdem das Behindertenheim geschlossen worden war. Für die psychisch Kranken
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