Totenwache
deine Antwort so verstehen, dass du es ihm nicht gezeigt hast? Hast du das Foto überhaupt dabeigehabt?«
»Ja, ich habe es mitgehabt, aber …«
»Du hast es ihm gar nicht gezeigt.«
»So kann man es ausdrücken. Schließlich ist man ja auch nur ein Mensch! Da war Tanz und der eine oder andere wurde von feinen Damen aufgefordert, du weißt ja, wie das ist.«
25
Ivan Sirén saß bibbernd und in eine genoppte rot karierte Decke gewickelt am Küchentisch, als Maria an der Tür klingelte. Langsam stand er auf und hinkte los, um ihr zu öffnen. Das Haar hing ihm strähnig und grau über die Schultern. Die Wangen unter den fieberglänzenden Augen schienen noch mehr eingesunken zu sein.
»Habt ihr sie erwischt, die Veganer?«, fragte er, und ein Gestank von Azeton und saurem Kaffee kam aus seinem Mund.
»Wir tun unser Bestes, aber das kann noch etwas dauern. Wir müssen einen Mord aufklären. Außerdem ist unten in Kronviken jemand ertrunken. Kann ich dir ein paar Fragen stellen?«
Ivan nickte schweigend und wickelte sich tiefer in seine Decke ein. Eine der Wollsocken hatte am Zeh ein Loch, und Maria sah, wie er das verstecken wollte, indem er die Füße übereinander legte.
»Bist du wegen des Knöchels bei einem Arzt gewesen?«
»Häggs haben mich hingefahren. Wir haben Penizillin aus der Apotheke geholt.«
»Hast du heute schon was gegessen?«
»Nein.« Ivan strich sich nachdenklich über den Schnurrbart. »Ich glaube nicht.«
»Soll ich dir was machen, während wir miteinander reden?«
»Ja danke.« Ein schwaches Lächeln war durch den Bart zu sehen.
»Was hast du denn im Haus? Ist das der Vorratsschrank?«
Ivan nickte. Seine Augenlider hingen schwer wie Blei.
»Brei, Grießbrei wäre gut. Natürlich nur, wenn du den auch haben willst?«
»Danke für die Einladung«, antwortete Maria und nahm einen Kochtopf aus dem blitzblanken Topfschrank. Während sie den Grieß und die Milch anrührte, blickte sie auf ihre Hände. Jeder einzelne Nagel war abgekaut und die Nagelbetten rissig nach der Arbeit in der Erde. Ivans Nägel sahen noch schlimmer aus. Sie waren beinahe nicht zu sehen, stellte Maria fest, als er die Hand zum Mund führte. Aber das war nur ein geringer Trost.
»Wenn du mal an den Sonntag des Mittsommerwochenendes zurückdenkst, warst du da unten am Fischereihafen?«
»Wir haben Sonntagabend Netze ausgelegt und sie in der Morgendämmerung am Montag eingeholt. Viel war nicht gerade drin.«
»Warst du am Samstag unten am Strand?«
»Nein, da haben wir Nerze geimpft. Ein paar Schuljungen helfen mir. Das nimmt viel Zeit in Anspruch. Ich würde mich freuen, wenn ich diese Untiere los wäre, also die Nerze. Ich überlege ernsthaft, ob ich die Zucht nicht zum Winter hin aufgebe.«
»Aber am Sonntagabend legtet ihr Netze aus. Waren das nur die Häggs und du?«
»Jacob war auch dabei.«
»Wie spät kann es gewesen sein, als ihr euch getrennt habt?«
»Zehn, halb elf.«
»Hast du um die Zeit jemand anders da unten gesehen?«
»Ja doch, da waren dieser Mayonnaise und seine Frau. Der Bengel stand da und warf Steine nach den Möwen. Jacob hat sich mit ihm angelegt, und das war ja auch kein Wunder. Ich glaube, er wird Biffen genannt.« Ivan lächelte ein wenig, und plötzlich sah er ganz jung und spitzbubenhaft aus.
»Lagen noch mehr Boote als die Marion II draußen?«
»Ja, der mit seinem Mahagoniboot, der Sonntagssegler, wie wir ihn nennen.«
»Weißt du, wie der heißt?«
»Molin, und dann der Hausmakler, der verschwunden ist. Die waren auf dem Weg raus nach Kronholmen. Die Frau blieb am Strand. Es schien, als ob sie sie abgesetzt hätten. Sie saß auf dem Anleger und weinte.«
»Kannst du sie beschreiben?« Ivan sah aus, als ob er längere Zeit überlegte.
»Kann man die Schönheit eines Tautropfens beschreiben?«
Er strich sich mit der Hand über die fieberglänzenden Augen. Maria entschied sich, nur die notwendigsten Dinge zu erfragen und später wiederzukommen.
»Was habt ihr gemacht, als ihr am Sonntag wieder an Land wart?«
»Wir haben bei Jacob eine Tasse Kaffee getrunken, dann sind wir zu uns nach Hause gefahren. Ich hab die Nachrichten um elf angesehen und bin danach ins Bett gegangen. Wir wollten ja früh raus.«
»Montagmorgen habt ihr die Netze eingeholt. Weißt du noch, wie spät es war, als ihr zum Fischereihafen kamt?«
Ivan wartete mit der Antwort, bis er den Brei, der auf dem Löffel gewesen war, hinuntergeschluckt hatte. Maria sah sich in der peinlich sauberen Küche
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