Totenwache
um, in der sich als einziger Wandschmuck ein Quecksilberbarometer und ein gelblicher Plastikrahmen mit einem Foto von Ingemar Johansson befand, sowie ein Stringregal für die Tageszeitungen und das Telefon, das ein altes Bakelitmodell mit Wählscheibe war. Neben dem Herd stand eine Thermoskanne mit einer makrameeartigen Umhüllung aus rotem Plastikband. Sicher ein Originalstück. Ein unbewusster Kult?
»Wie spät kann es gewesen sein, als ihr runter zum Fischereihafen kamt?«, wiederholte Maria.
»Wie spät es war, fünf vielleicht?«
»War Jacob dabei, als ihr die Netze eingeholt habt?«
»Nein, der hat sich nicht wohl gefühlt, wollte Kräfte sparen. Er ist ja über neunzig. Aber er war auf. Das war er. Obwohl er über dem Küchentisch lag und schlief. Für sein Alter ist er aber trotzdem fit, das kann ich dir sagen.«
»Ivan, du weißt sicher, dass Jacob tot ist«, sagte Maria und sah Ivan vorsichtig an.
»Hägg hat das gesagt. Wer kann das gewesen sein? Wer kann Jacob so was angetan haben? Hägg glaubt, es könnte der Fixer aus dem Schuppen nebenan gewesen sein.«
»Hast du Mårten Norman am letzten Wochenende gesehen?«
»Nein, gesehen habe ich ihn nicht, aber am Sonntagabend war in seinem Schuppen Licht.«
»Als ihr Montagmorgen die Netze eingeholt habt, war da noch jemand am Strand?«
»Nein.«
»Hast du gesehen, ob in Mårten Normans Schuppen Licht war?«
»Hab ich nicht dran gedacht.«
Ivan sah wirklich sehr müde und bleich aus, und Maria hielt es für das Beste, ihn wieder ins Bett kriechen zu lassen.
»Kommt heute noch jemand und sieht nach dir?«
»Hägg wollte mit Eierkuchen vorbeikommen, wenn er unten auf der Polizeiwache gewesen ist und seine Aussage gemacht hat. Dann bekomme ich wohl auch von Gustav eine Blume oder zwei, kann ich mir vorstellen.«
Maria ließ das Auto an der Polizeiwache stehen und ging zu Fuß zu Bredströms Juwelierladen. Das dauerte fünf Minuten länger, aber in der Innenstadt waren die Parkplätze rar. Die Fassade des Rathauses wurde vor dem Bootsfestival in der nächsten Woche renoviert. Maria wich Gerüsten und Leitern aus und musste einen Umweg um eine Absperrung machen, die die Bevölkerung daran hinderte, direkt in einen Zementmischer zu laufen. Die halbe Straße vor dem Kiosk war aufgerissen. Hier wurde rustikaler Kopfstein verlegt statt des praktischen, aber unästhetischen Asphalts, der vorher als Fahrbahndecke da war. Maria blieb am Kiosk stehen und kaufte ein Stück Schokolade und drei Kugeln Sahneeis, Nougat, Schokolade und Rumrosinen. Mit der Eistüte in der Hand fiel ihr ein, dass es unerwünscht war, in Bredströms Juwelierladen Eis zu essen. Es gab sogar einen kleinen Aufkleber mit einer Eistüte und einer Zigarette, beide dick und rot durchgestrichen, damit niemand die Botschaft übersehen konnte und Eis oder Zigarettenasche auf den roten Teppichboden fallen ließ. Daher lehnte sich Maria ein Weilchen gegen die Wand des Kiosks und ließ sich die Sonne ins Gesicht scheinen, während sie genüsslich ihr Eis leckte.
» WERN !!« Die Stimme war nicht zu überhören. »Bist du im Dienst?«
Das konnte sie nicht abstreiten. Aber als sie sah, wie Ragnarsson Luft holte, um mit seiner Attacke loszulegen, und merkte, wie peinlich das werden würde, wenn er sie vor der ganzen Schlange am Kiosk zurechtwies, legte sie die Hand auf seinen Arm und flüsterte ihm ins Ohr:
»Nicht hier, Åke. Die Leute gucken schon. Denk an unseren guten Ruf.« Ragnarsson stutzte und sah sich ein wenig verlegen um, und damit war die Sache erledigt. Hinterher überlegte Maria manchmal, weshalb er mit seinem Geschimpfe so plötzlich aufhörte. Vielleicht hörte er die Stimme seiner Mutter: »Mach dich jetzt nicht lächerlich, Åke.« Oder war es die Frechheit, mit der er nicht fertig wurde, wenn er auf direkte und ungehörige Weise mit seinem Vornamen angesprochen wurde. In dieser Stunde spielte jedenfalls die Abneigung, die Maria ihrem Chef gegenüber empfand, keine Rolle mehr, und sie konnte ihn danach sogar mit ein bisschen Wärme betrachten, jedenfalls hin und wieder.
Der Besitzer von Bredströms Juwelierladen war nicht da, aber seine Frau, die manchmal im Laden half, war sehr entgegenkommend und hilfsbereit. Maria legte den Ring auf den Tisch, und Frau Bredström zeigte auf einen Schaukasten am anderen Ende des Ladens, in dem ähnliche Ringe auf einer dunkelblauen Samtunterlage lagen, sortiert danach, in wie viele Teile man sie zerlegen konnte: vier, sechs oder
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