Totenwache
mit der Nase im Wind. Klein, aber selbstbewusst.
»Ein Glas Champagner kann nicht schaden«, lachte Erika, nippte daran und flirtete mit Odd.
»Hier ist es gewesen.« Der Fischer nahm die Mütze ab und hielt sie sich vor die Brust. Odd nahm die Viktoria aus dem Wind. Erika reffte das Segel. Sie ankerten.
»Wissen Sie, wie hier draußen die Strömung verläuft?«, fragte Maria und setzte sich nach hinten zu Tord mit der Seekarte in der Hand.
»Meiner Meinung nach ist er ja von Kronholmen ins Wasser gefallen und die Fahrrinne entlanggetrieben. So war es wahrscheinlich«, antwortete er, nahm eine ordentliche Prise Kautabak und warf danach die Dose ins Wasser. Sie trieb auch wirklich in die angegebene Richtung. Maria pfiff laut und bekam einen Rüffel von Odd Molin. Man pfeift niemals auf See! NIEMALS ! Sein Blick war so wütend, dass Maria einen Moment lang fast befürchtete, er würde sie über Bord werfen wollen.
»Warum?«, flüsterte Maria Erika zu, als Odd wieder mit dem Segel beschäftigt war.
»Das bedeutet Gefahr, man ruft die bösen Geister des Wetters, ruft nach dem Sturm. Seeleute sind ein abergläubisches Volk, musst du wissen, genauso wie die Menschen in den alten Bauerndörfern. Vielleicht weil Fischer und Bauern mehr als andere von Wind und Wetter abhängig sind. Auf See gibt es viele alte Sprichwörter.«
Odd musste dagestanden und ihnen mit gespitzten Ohren zugehört haben.
»›Sunset in red is sailors dead‹, pflegen wir zu sagen.« Er schnippte den Rest seiner Zigarre ins Wasser und nahm einen Schluck Champagner. »Na denn Prost, Mädels!«
Maria überlegte im Stillen, wie viele Gläser Champagner Odd bereits getrunken hatte. Notfalls musste Tord auf dem Heimweg das Ruder übernehmen. Dieses Unternehmen war ihr nicht ganz geheuer. Odds launiger Humor und Erikas mangelnde Urteilsfähigkeit. Marias Blase drückte, und sie ging unter Deck auf die Toilette. Die war so klein bemessen, dass man seine Hose beinahe draußen vor der Tür herunterlassen musste, um dann rückwärts hineinzugehen. Maria fühlte sich nicht ganz wohl bei den plötzlich wechselnden Neigungen des Schiffes.
»Sicher weißt du, dass du kein Papier oder andere Gegenstände in die Toilette werfen darfst?«, donnerte Odd von oben. Das Boot schwankte, und Maria hielt sich an dem Handgriff des Badezimmerschrankes fest, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Die Tür sprang auf, und der ganze Inhalt der Regale flog ihr in die Arme. Den Rasierapparat und das Aftershave legte sie nach bestem Gutdünken zurück. Sicher würde er sie verdächtigen, in seinem Schrank herumgesucht zu haben.
»Wie geht es da unten?«, fragte Odd. »Du bist doch nicht etwa seekrank? Haha! Komm herauf an die frische Luft, dann geht es dir besser.«
Der Fischer fuhr sich mit der Hand über seinen verschwitzten Schädel.
»Die Unterströmungen bei der Aussichtsklippe auf Kronholmen laufen hierher, und danach folgt der Strom der Fahrrinne beinahe bis ganz an den Fischereihafen.« Maria blickte in seine wasserblauen Augen und bemerkte die kleinen Salzkristalle in den Augenbrauen und die Schweißflecken, die an den Seiten des blauen Hemdes wie weiße Ringe getrocknet waren. Seine gestopften Wollsocken waren ebenso wie Marias Strümpfe durchnässt. Sicher war er es auch nicht gewohnt, ohne Schuhe umherzulaufen. Odd rauchte eine neue Zigarre und sah zufrieden aus. Die Landzunge näherte sich. Sie liefen in eine kleine geschützte Bucht ein.
»Fender raus«, befahl Odd, und Erika gehorchte als gut dressierter Gast, der sie war, sofort. Die Fender waren von einer Art komplizierter Makrameearbeit umschlossen.
»Großkotzstrümpfe!«, sagte Tord und spuckte zielsicher eine Ladung über die Reling.
Sie legten am Steg von Kronholmen an, einer alten morschen Holzbrücke mit großen Löchern in den Brettern. Ein Schuppen mit Schwimmwesten, die man leihen konnte, war, abgesehen von den beiden Windschutzwänden an der Südseite, das einzige Gebäude hier. Das Dach war mit Teerpappe belegt, die an der Ecke zum Steg lose herunterhing. Komischer Platz zum Verleihen von Schwimmwesten, dachte Maria. Wenn man erst mal bis hierher gekommen ist, hat man die Bucht doch schon überquert. Strandastern wuchsen zwischen den Steinen am Strand, aber für die blauen Blüten war es noch zu früh. Weiter drinnen auf der Insel wuchs das Gras kniehoch. Maria versuchte, nicht an Schlangen zu denken, als sie die Steinhaufen zwischen den Sträuchern sah. Wenn man hier draußen auf der
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