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Totenwache

Totenwache

Titel: Totenwache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Jansson
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kleinen Insel von einer Schlange gebissen wurde, dauerte es eine Ewigkeit, bis man im Krankenhaus in der Stadt ankam.
    »Früher weideten hier draußen Schafe. Jetzt laufen fast nur noch Touristen herum«, erklärte der Fischer. Odd hob den Dackel an dem Handgriff herüber und befreite ihn aus seiner Schwimmweste. Glücklich mit dem Schwanz wedelnd, sprang der Hund in den Wald, um sein Geschäft zu machen und sich dann wieder artig an der Seite seines Herrchens einzufinden.
    »Das war nett von dir, Odd, uns zu der Insel zu segeln«, bedankte sich Erika und lächelte den Kaptän mit ihren roten Lippen an.
    »Ich habe nicht gesagt, dass das gratis war«, sagte Odd spitzbübisch. »Ich habe mir vielleicht eine kleine Kompensation in natura vorgestellt.« Pfui, dachte Maria, und ihr wurde immer deutlicher, dass hier etwas nicht stimmte. Tord spuckte auf den Boden, und man sah ihm an, dass er der gleichen Auffassung war. Aber Erika lächelte nur und hängte sich bei Odd ein. Ganz selbstverständlich ergab es sich, dass sie sich in zwei Gruppen teilten, als der Pfad, der um die Insel herumlief, sich gabelte.
    »Wir treffen uns an den Windschutzwänden«, sagte Erika mit Nachdruck und machte eine abwehrende Geste mit der Hand, als Maria Anstalten machte, ihnen zu folgen. Also lief es darauf hinaus, dass Maria und Tord an der Westseite der Insel entlanggingen und Erika und Odd an der Ostseite. Die Aufteilung hätte eine andere sein sollen, und Maria fühlte sich immer verwirrter. Tord sah nicht mehr ganz so mürrisch aus, nachdem Odd sich entfernt hatte.
    »Hier auf der Westseite haben wir die Aussichtsklippe. Man kann sich vorstellen, dass er von hier aus runtergefallen ist, wenn er unvorsichtig gewesen ist. Unterhalb der Klippe ist tiefes Wasser und die Unterströmungen sind kräftig. Ein Körper, der hier runterfällt, wird von den Steinen nicht verletzt und schlägt auch nicht auf dem Boden auf. Er wird schnell ein ganzes Stück hinausgezogen und treibt dann mit dem Strom an der Fahrrinne entlang, wie ich es Ihnen da draußen gezeigt habe.«
    Tord beschattete die Augen mit der Hand und blinzelte über das Wasser.
    Ein noch schmalerer Pfad führte durch das Weißdorngebüsch hinaus auf die Klippe. Die langen scharfen Stacheln luden nicht gerade dazu ein, ihn zu verlassen. Keine Umkehrmöglichkeit, kein Fluchtweg zurück, wenn jemand den Pfad versperrte. Ganz bewusst ging Maria drei Schritte hinter dem Fischer, fest entschlossen, den Tag zu überleben. Der Bewuchs nahm ab, und der letzte Teil der Klippe war kahl. In gehörigem Abstand von Tord trat Maria an die Kante und starrte in das gurgelnde grünschwarze Wasser, das unter der Klippe hin und her wogte. Verlockend und glitzernd an der Oberfläche mit Stängeln giftgrünen Seegrases, das sich an der Unterkante der Klippe festgebissen hatte. Und da unten, direkt an der Wasserfläche, schwappte ein dunkelgrüner Zweig auf dem Seegras auf und ab. Ein Rosmarinzweig. Maria wurde leicht schwindelig, und sie trat einen Schritt zurück, direkt in eine kleine einfache Feuerstelle. Ein Ring von Steinen um feuchte Asche und verkohlte Astreste herum. Eine schwarze Blechdose war sicher als Kochtopf benutzt worden. Darin befanden sich Reste von grünen dünnen Blättern und einer gelblichen Flüssigkeit. Maria beugte sich herab und nahm eine Probe des Inhalts. Tord beobachtete ihr Tun schweigend. Rosmarin zur Erinnerung an die Toten. Ein deutliches Gefühl der Verlassenheit bemächtigte sich ihrer. Hastig stand Maria auf und beeilte sich, als Erste auf dem Pfad zu sein, der von dem Aussichtsplatz wegführte. Ein verschwommenes Bild von Jacobs eingeschlagenem Hinterkopf stand ihr vor Augen und wollte nicht weichen. Hinter sich hörte sie Tords Atemzüge und beschleunigte ihre Schritte. Rannte beinahe durch das Gebüsch. Die feuchten Strümpfe scheuerten in den Schuhen. Zweige wurden hinter ihr geknickt. Die Schritte folgten ihren eigenen in immer schnellerem Takt.
    »Vor mir brauchen Sie keine Angst zu haben, ich denke nicht daran, Sie die Klippe runterzustoßen«, hechelte Tord hinter ihrem Rücken. »Mit den Strömungen ist nicht zu spaßen.«
    »Nein«, bestätigte Maria und bemühte sich, ihrer Stimme einen festen Klang zu geben.
    »Mein Onkel ist hier draußen ertrunken, als ich ein kleiner Junge war. Das war im Mai, und das Wasser war noch kalt. Er ist wohl nicht ganz nüchtern gewesen, wollte angeben und von der Aussichtsklippe aus tauchen. Es dauerte länger als einen Monat,

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