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Totenwache

Totenwache

Titel: Totenwache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Jansson
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am Fischereihafen von Bord ließen. Ich hasse das Segeln! Clarence flüsterte mir ins Ohr, ich sei die hässlichste alte Schlampe, die er je gesehen hätte, und er würde es mir schon zeigen, wenn wir nach Hause kämen.«
    »Dann sollte er sich mal gründlich vom Augenarzt untersuchen lassen«, meinte Hartman. »Wie spät kann es gewesen sein, als Sie an Land abgesetzt wurden?«
    »Acht vielleicht.«
    »Haben Sie dort am Strand andere Menschen gesehen?«
    »Gustav Hägg und seinen Vater. Die waren dabei, Netze auszulegen. Ich habe ein bisschen mit Gustav gesprochen. Er ist so zutraulich. Er hatte einen Strauß mit kleinen Glockenblumen gepflückt und steckte mir eine Blume ins Haar. Ein Teil der Stiele war gebrochen. Er war mit dem Strauß in der Hand hingefallen. Gustav weiß genau, was eine Frau hören möchte. Er versteht was von uns Frauen.« Rosmarie zwang sich ein bleiches Lächeln ab.
    »Ja, von ihm kann man manches lernen«, bestätigte Hartman. Maria dachte, dass man ein Stück weit vorangekommen war, wenn man das einsah.
    »Haben Sie gesehen, ob noch weitere Personen in dem Boot waren?«
    »Ich weiß nicht. Ich habe nicht daran gedacht. Ich war so müde und unkonzentriert. Muss das Aufnahmegerät eingeschaltet sein?«
    »Das Tonband hilft uns dabei, uns zu erinnern. Wenn ich alles mit meiner langsamen Hand aufschreiben soll, dauert das viel länger, und außerdem wird daraus meine Version Ihrer Aussage, nicht Ihre eigenen Worte. Wissen Sie, wie deren Boot heißt?«
    »Maria II, vielleicht Marta II. Nein, ich weiß es nicht. Es ist ein normales Fischerboot.«
    »Was geschah danach?« Hartman lehnte sich zurück, um durch seine Körpersprache anzudeuten, dass er bereit war, lange zuzuhören. Er nahm seine Brille ab und kratzte sich mit den Bügeln ausgiebig die Kopfhaut. Danach standen ihm seine Haare zu Berge.
    »Ich saß auf dem Anleger und überlegte, welchen Sinn das Leben noch hat. Für wen lohnt es sich noch zu leben. Meinem Vater mache ich nur Kummer, und für meinen Mann bin ich ein Klotz am Bein. Ich fühlte, dass das alles so sinnlos ist.« Rosmarie starrte aus dem Fenster auf den Blutahorn, der im Wind hin und her schwankte und mit seinen Blättern ein ständig wechselndes Schattenspiel bot. »Ich habe überlegt, wie das wohl ist, wenn man ertrinkt. Wie lange es dauert, bis man das Bewusstsein verliert, und was man empfindet, wenn man sich anders entscheiden will, es aber schon zu spät ist.«
    »Wann haben Sie damit angefangen, solche Überlegungen anzustellen?« Hartman beobachtete Rosmaries Gesicht mit neuer Intensität.
    »Nicht beim ersten Mal, als Clarence mich schlug, da dachte ich noch, es sei ein Ausrutscher, dass er sich nicht bewusst sei, was er tat. Er hat als Kind und Jugendlicher viel Prügel bezogen. Es ist schwer, eine solche Kindheit abzuschütteln. Ich wollte ihn verstehen und ihm vergeben. Dass er mich schlug, war wohl eher ein Reflex, dachte ich. Eigentlich wollte er es nicht. Er wurde nicht damit fertig, dass er die Kontrolle über sich verlor. Ich wollte in einer normalen Beziehung leben, jemanden haben, mit dem ich meinen Alltag teilen konnte. Ich glaubte, wenn ich mich intensiv genug um ihn bemühte, wenn ich ihm die Wärme gab, die er in seiner Kindheit so vermisst hatte, dann würde alles gut werden.«
    »Wurde es aber nicht?«
    »Nein, es wurde schlimmer«, flüsterte Rosmarie, und ihre Stimme war kaum zu verstehen, weil der Regen gegen die Scheibe trommelte. Maria sah, wie sie mit den Tränen kämpfte. »Ich glaube, an den Tod habe ich erst in diesem letzten Jahr gedacht. Wie man ohne große Schmerzen Schluss machen kann. Eine Zeit lang habe ich an Digitalis gedacht. Aber ich bin mir nicht sicher, welche Dosis man braucht. Es muss widerlich sein, im Krankenhaus aufzuwachen und sich anhören zu müssen, dass man nur die Aufmerksamkeit anderer erregen wollte. Clarence hätte den besorgten Gatten gespielt und sie alle hinters Licht geführt. Danach wäre ich wieder allein mit ihm und in der schlimmsten aller Höllen gewesen. Nie hätte er mir verziehen, dass ich ihn enttäuscht habe.«
    »Wir werden Ihnen helfen, jemanden zu finden, mit dem Sie reden können, jemanden, der Sie ernst nimmt und der Erfahrungen mit solchen Dingen hat, die Sie durchgemacht haben. Das Frauenhaus hat Kontakte zu erfahrenen Psychologen. Das weiß ich.«
    »Sie meinen also, ich sei ein Fall für die Psychiatrie? Hysterisch und schwierig?«
    »Ich glaube, Sie haben es ungewöhnlich schwer gehabt und

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