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Totenwall

Titel: Totenwall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Meyn
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also davon ausgehen, dass es der Täter auf dunkelhäutige Opfer abgesehen hat. Frauen aus dem Gewerbe sind es nicht, sagt der Arzt. Es brodelt jedenfalls gehörig in der Gerüchteküche, denn die Nachrichten verbreiten sich unter den Bauarbeitern wie ein Lauffeuer. Mittlerweile munkelt man schon von Arbeitsniederlegungen ganzer Bautrupps. Erst unsere Untersuchungen, eine mögliche Mittäterschaft von Arbeitern bei dem Goldmann-Raub betreffend, und nun der Verdacht, ein Wahnsinniger könnte in unmittelbarer Umgebung sein Unwesen treiben. Die Baugesellschaft, die für die Durchführung der Bauarbeiten verantwortlich ist, und auch der Senat sehen jedenfalls dringenden Handlungsbedarf. Für übermorgen ist eine Sitzung der Verantwortlichen anberaumt, bei der neben dem Generalbevollmächtigten der Bauverwaltung auch Bürgermeister Predöhl sowie einige Senatoren und Senatssekretäre anwesend sein werden.»
    Andresen machte ein ernstes Gesicht. «Und Regierungsrat Stürken wird in Erklärungsnot geraten, da wir keine Ergebnisse vorweisen können. Es wird darauf hinauslaufen, dass eine Sonderkommission eingesetzt wird.»
     
    «Ich habe mir Sorgen gemacht. Du hättest sagen können, dass du nicht nach Hause kommst.» Ein überflüssiger Vorwurf. War sie es nicht, die ihn in letzter Zeit nicht mehr über ihre Aktivitäten auf dem Laufenden hielt? Mathilda schaute ihn entgeistert an. Erst jetzt schien sie seinen desolaten Zustand zur Kenntnis zu nehmen. «Meine Güte … wie siehst du aus? Was ist passiert? Ein Unfall mit deiner Teufelsmaschine?»
    «Nein, ich bin überfallen worden.» Sören erzählte kurz von den Geschehnissen, von dem Koffer voller Geld, von Armin Brunckhorst, den Schuldverschreibungen und seinem misslungenen Versuch, Kontakt zu Adolf Künkel aufzunehmen. Tilda hörte ihm aufmerksam zu und inspizierte währenddessen Sörens Verletzungen.
    «War das nicht vorauszusehen?», fragte sie vorwurfsvoll. «Solche gefährlichen Sachen solltest du anderen überlassen.» Sie ging aus dem Zimmer und kam mit einem kleinen Fläschchen zurück.
    «Sag ruhig, dass du der Meinung bist, ich sei zu alt für solche Dinge.»
    Mathilda ignorierte seine Worte. Stattdessen säuberte sie mit einem feuchten Tuch Sörens Blessuren. «Das sieht schlimmer aus, als es ist. Ein, zwei Tage, und die Schwellungen werden zurückgegangen sein, du Rumtreiber.» Sie gab ihm einen Kuss auf die Stirn.
    «Und du?», fragte Sören. «Wo hast du dich herumgetrieben? Ich habe dich seit über zwei Tagen nicht mehr zu Gesicht bekommen. Wieder mit Frieda Radel in Sachen Frau unterwegs?»
    «Mit Frieda, ja. Aber es ging nicht um emanzipatorische Dinge.»
    «Ausnahmsweise mal nicht?»
    «Wir waren bei einem interessanten Vortrag von Herrn Rudolf Steiner im Loogensaal in der Welckerstraße, er sprach über ‹Erkenntnis und Unsterblichkeit›.»
    Sören runzelte die Stirn und verdrehte die Augen. Besser gesagt sein linkes, das andere war von der Schwellung verdeckt. «Aha – sag mir jetzt bitte nicht, dass du aufgrund seiner Ausführungen zu der Erkenntnis gekommen bist, dass wir nicht unsterblich sind.»
    «Du machst dich lustig.» Tilda wandte sich ab. «Ich weiß, dass du sie nicht ausstehen kannst, aber Frieda kennt sehr interessante Leute. Nach dem Vortrag haben wir mit Herrn Steiner und einigen anderen diskutiert. Seine Meinungen über Reinkarnation, Unsterblichkeit der Seele und die verschiedenen Stufen der Erkenntnis sind außerordentlich anregend und kurzweilig. Und gestern trafen wir uns bei einem Künstlerzirkel in einer Villa in Lokstedt, über den Frieda einen Artikel schreiben will. Es war sehr unterhaltsam. Du hättest sicherlich auch Gefallen daran gefunden.»
    «Waren Männer überhaupt zugelassen?» Sören konnte sich die Spitze nicht verkneifen.
    «Die Gruppe, die sich dort regelmäßig trifft, besteht zum größten Teil aus jungen Männern, Malern, Schriftstellern, Philosophen. Einige der Musiker waren mir bekannt. Und ja, Frauen waren auch darunter, aber wie üblich in der Minderheit.» Tilda strich etwas von der Tinktur auf Sörens aufgeplatzte Lippe.
    «Autsch! Sei doch vorsichtig.»
    «Stell dich nicht an.» Tilda hielt kurz inne, dann wiederholte sie die Prozedur. «Jetzt wirst du um einen Besuch bei einem Zahnarzt nicht herumkommen», sagte sie, nachdem sie die fehlenden Zähne entdeckt hatte. «Ich hörte neulich von einer zahnärztlichen Praxis, die sich auf die Anfertigung von naturgetreuem Zahnersatz spezialisiert hat. Sie

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