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Totenwall

Titel: Totenwall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Meyn
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Botaniker aus Ahrensburg, war Anhänger der heidnisch-okkultischen Ariosophie von Guido List und hatte die letzten Jahre in einer Priesterschaft des Wotan-Kultes in Österreich gelebt, bis ihn das Erbe des elterlichen Betriebs in die Heimat zurückgerufen hatte. Das Ehepaar Schuldwasser, ungefähr in Sörens Alter und aus Lübeck kommend, hatte zuvor im Freilichtpark Klingberg bei Scharbeutz gelebt, und der Dichter und Schriftsteller Arno Oechslin, ein verwirrt dreinblickender Hüne mit krausem Haar und lederner Haut, hatte als Jünger des Sonnenordens auf der Südseeinsel Kabakon in Neuguinea gelebt und sich ausschließlich von Kokosnüssen ernährt, wie er erzählte. Nicht weniger exotisch klangen die Schilderungen derjenigen, die im Nudistenzentrum auf dem Monte Verità bei Ascona gewesen waren, unter ihnen Mauro Bizini und Anna Schwab, Letztere auch eine ehemalige Anhängerin der Kokovaren des Sonnenordens auf Kabakon und ebenfalls weit gereist. Man kannte sich. Auch Henrike Sollmann und Werner Holst, zwei Vertreter der Mazdaznan-Templer, einer zarathustrischen Gemeinde, die Zar Otoman Ha’nish vor Jahren in Amerika gegründet hatte und die sich mit Atemübungen und Yoga beschäftigten, hatten inzwischen hier ihre Zelte aufgeschlagen.
    Nach allem, was er hörte, kam es Sören vor, als sei Duvenstedt zum Sammelbecken der okkulten Lebensreformer aus aller Welt geworden. Von den meisten Organisationen und Strömungen hatte er noch nie zuvor gehört, eine vollkommen fremde Welt tat sich ihm auf. Erleichtert nahm er zur Kenntnis, dass auch Tilda die Erzählungen offenbar als fragwürdige Spinnereien betrachtete. Das zumindest ließen die Blicke vermuten, die sie ihm zuwarf.
    Nachdem sie gegessen hatten, wurden sie von einem Photographen aufgefordert, sich für ein Gruppenbild zusammenzustellen, aber das ging Sören dann doch zu weit. Die Mehrheit der Anwesenden kam der Bitte mit Heiterkeit nach. Heidi Sello präsentierte ihren bemalten Körper in vorderster Reihe, und Liane posierte neben Ludwig Lippstedt, der sich immer noch um sie zu bemühen schien. Aufgrund ihrer Größe standen sie weit hinten, und außer ihren Köpfen würde auf der Photographie nichts zu sehen sein, was Sören im Stillen beruhigte, auch wenn es ihn eigentlich nichts anging. Auch Tilda empfand es als übertrieben und meinte zu Sören, die Szenerie hätte etwas Groteskes, weil der Photograph ebenfalls unbekleidet war und nur sein nacktes Hinterteil unter dem schwarzen Tuch hervorschaute. Bevor Sören antworten konnte, entdeckte er unter denjenigen, die ebenfalls nicht mit aufs Bild wollten, ein ihm bekanntes Gesicht. Er konnte es nicht sofort zuordnen, irgendetwas in ihm sperrte sich. Erst als sich ihre Blicke trafen, durchfuhr es ihn wie ein Blitz. Die schwarzhaarige Frau mit den dunklen Augen war eindeutig die Schönheit aus dem Silbersack, die ihm der betrunkene Kerl hatte schmackhaft machen wollen und die er Gräfin Olga genannt hatte.

[zur Inhaltsübersicht]
    Kapitel 8
    S ören stand über den großen Kartentisch gebeugt und betrachtete die Eintragungen. Er verglich die Auszüge aus den Grundbüchern mit dem Kataster und machte sich Notizen zu den Grundstücken und Gebäuden. Auf den ersten Blick sah alles normal aus, aber Sören war sich ziemlich sicher, dass irgendetwas mit den Grundstücken nicht stimmen konnte. Der Zeitraum, in dem die Immobilien veräußert worden waren, konnte auf ein halbes Jahr eingegrenzt werden, sonst waren bislang keinerlei Gemeinsamkeiten feststellbar, weder was die Lage noch was die Größe betraf. Es fehlte noch das Katasterblatt von Eimsbüttel, aber Sören bezweifelte, dass ihnen das mehr Aufschluss liefern würde. Dann fiel sein Blick erneut auf das Straßengewirr von St. Pauli, auf dem auf den ersten Blick nicht zu erkennen war, dass der Stadtteil geteilt war. Als er versuchte, die Demarkationslinie zwischen Hamburg und Altona auf dem Plan nachzuzeichnen, blieb sein Finger an der Silbersackstraße hängen. Die Gräfin ging ihm nicht aus dem Kopf.
    Was hatte sie dort verloren gehabt? Im Silbersack hatte sie wie ein Fremdkörper gewirkt, nicht wie eins der leichten Mädchen, obwohl auch sie eine Hure sein musste. Für ihresgleichen gab es allerdings andere Etablissements auf dem Kiez. Ihre Eleganz hatte im krassen Widerspruch zum sittenlosen Ambiente der Kneipe gestanden. Vielleicht spielte sie auch nur mit dem Schein des Anrüchigen, vielleicht war genau das ihr Erfolgsgeheimnis. Aber was hatte sie in

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