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Totenwall

Titel: Totenwall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Meyn
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Kunde. Den Einzahlungen nach zu urteilen, kann er gerade so eben den Zins tilgen, und das auch nur nach mehrfachen Mahnungen.»
    «Das ist unser Mann.»
    «Morgen früh schnappen wir ihn uns. Jetzt konzentrieren wir uns erst mal aufs Derby und Ihren Künkel. Meine Leute sind postiert. Ich konnte zwanzig Mann abstellen. Aber verraten Sie mir, was ein Buchmacher mit der Sache bei Goldmann zu tun haben könnte.»
    Sören zuckte mit den Schultern. «Tja, das ist die Frage. Ich kann nur sagen, dass Künkel der Name des Mannes sein soll, der den Raub in Auftrag gegeben hat. Das sind die Gerüchte, die im Milieu kursieren. Mehr weiß ich auch nicht.»
    Sie passierten das baptistische Predigerseminar an der Rennbahnstraße, danach ging es nur noch im Schritttempo vorwärts. Die Straßen waren voll von Menschen, die zu den Eingängen strömten, und die Automobile wurden von Hilfskräften zu einer riesigen Koppel geleitet, auf der bereits Hunderte von Fahrzeugen abgestellt waren. Überrascht nahm Sören zur Kenntnis, dass keine Parkgebühren erhoben wurden. Hier ließ sich der Hamburger Renn-Club eine gehörige Einnahmequelle entgehen. Oder man hatte es nicht nötig.
    Sie reihten sich in den Pilgerstrom ein, der aus einer wogenden Menge kleiner Sonnenschirmchen zu bestehen schien. Trotz der außerordentlichen Temperaturen war die Damenwelt in die kostbarsten Stücke der Garderobe gehüllt. Die Kostüme, Jäckchen, Überwerfer und Stolen überboten sich gegenseitig, kurze Schleppen fegten über den sandigen Boden, und es schien, als versuchten sich die Damen mit Größe und farblicher Pracht ihrer Kopfbedeckungen gegenseitig zu übertrumpfen. Sören war froh, dass er sich für einen luftigen Leinenanzug und seinen hellen Panamahut entschieden hatte, und auch Andresen hatte mit leichter Kleidung vorgesorgt.
    Hundert Meter vor dem Einlass begann das Gedrängel, und man musste aufpassen, niemandem auf die Füße zu treten. Die ganze Stadt schien heute den Weg hierher gefunden zu haben. Die Renntage galten zwar schon seit langem als
das
gesellschaftliche Ereignis schlechthin, aber Sören konnte sich nicht erinnern, in den letzten Jahren einen solchen Menschenauflauf erlebt zu haben. Den Gesprächen um sie herum war das Gerücht zu entnehmen, dass sich selbst die Kaiserin auf den Weg nach Horn gemacht haben solle. Was ihrem Gemahl die Kieler Woche war, war der Kaiserin das Derby. Selbst ihr Erscheinen rechtfertigte aber nicht die heutigen Massen.
    Vor dem Sperrkreuz wurden die Eintrittskarten gelocht, dahinter hörte das Gedrängel zumindest für einen Moment auf. Die Anlage war weitläufig genug, doch wohin man auch blickte, nichts als Hüte und Schirme. Und die Menge strömte weiter. Die große Tribüne, die man in den letzten Jahren mehrfach umgebaut und immer wieder vergrößert hatte, war ein einziges Menschenmeer. Am schlimmsten sah es rund um das neue Directionsgebäude aus. Auf der Aussichtsplattform über dem Schiedsgericht und dem Musikpavillon wurde um jeden Platz gekämpft.
    Sören schlug vor, Richtung Sattelplatz zu gehen. Andresen wollte zuvor noch zum Totalisator und zu den Auszahlungscassen schauen, um zu überprüfen, ob sich seine Vigilanten gut postiert hatten. Sören bezweifelte, dass genügend von ihnen da waren, um die Geschehnisse rund um die Wettstellen im Auge zu behalten, aber Andresen wirkte zuversichtlich. Tatsächlich waren die Männer unauffällig, nicht nur was ihre Kleidung betraf. Bislang war noch niemandem von ihnen etwas Verdächtiges aufgefallen, und so zogen Sören und Andresen zum Sattelplatz weiter.
    Das erste Rennen wurde angekündigt, das Vorrennen über eine Distanz von 2000 Metern. In einer halben Stunde war Start. Der Sprecher verkündete schreiend mit einer riesigen Flüstertüte die Startnummern sowie die Namen der Pferde, der Besitzer und der Jockeys. Jetzt geriet die Menge in Bewegung. Viele strömten zu den offiziellen Plätzen, wo Wetten angenommen wurden. Man kam hier nicht nur her, um gesehen zu werden; jeder, der etwas auf sich hielt, wettete auch, und wenn es nur Pfennigeinsätze waren. Die große Anschlagtafel am Totalisator zeigte die Quoten an, sie wurden ständig aktualisiert.
    Diese Wetteinsätze waren für Sören und Andresen unwichtig. Was sie interessierte, war das Glücksspiel. Das, was nicht erlaubt war und wo es – bis auf einen – nur Verlierer gab. Diese illegalen Buchmacher agierten vor allem rund um den Sattelplatz, wo es unübersichtlich wie auf einem Basar

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